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Die Daten, die ich rief, werd ich nicht mehr los

In Deutschland gibt es bekanntermaßen diverse Projekte, größtenteils mit Staatsgeldern gesponsert, die sich mit Langzeitarchivierung und der Langzeitdatenspeicherung befassen. nestor dürfte hier das bekannteste sein. Wir supergründlichen Deutschen betrachten es allumfassend aus technologischer und datenschutzrechtlicher Sicht. Formatfragen sind da ganz wichtig. Gibt es ein JPG in zehn oder zwanzig Jahren überhaupt noch? Gibt es dann noch ein Programm, das ein DOC-File lesen kann? Tja, so was bewegt uns in Deutschland. Schon seit Jahren.

Und was macht Amerika? Die kümmern sich um so was überhaupt nicht. Die haben ja neuerdings Facebook, das sich der Sache annimmt. Die sagen zu ihren Benutzern: Stellt alles rein, und damit habt ihr euer Lebensarchiv. Jeder darf wissen, dass ich gestern joggen war. Und natürlich wo. Welche Musik habe ich vor drei Jahren, vier Monaten und sechs Tagen gehört? Jeder darf’s wissen. Fotos und Videos mit genauen Zeit- und Ortsangaben, wo jemand war – Facebook sorgt sich jetzt drum, und speichert alles.

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Facebook trackt jetzt auch die Orte, von wo ein Beitrag gepostet wurde (ausschaltbar, aber per default eingeschaltet)
Facebook trackt jetzt auch die Orte, von wo ein Beitrag gepostet wurde (ausschaltbar, aber per default eingeschaltet)
Alles schön geordnet in »Timeline«, so heißt die neue Funktion. Profil, persönliche Fotos, Einträge, Kommentare und alles, was über jemanden veröffentlicht wurde – in Timeline in chronologischer, anklickbarer Reihenfolge schmackhaft präsentiert.

Rik Ferguson, Director Security Research & Communication EMEA bei Trend Micro, meint sogar, dass viel mehr Skepsis der »Ticker«, also die neue scroll-fähige Ansicht der Updates in der rechten oberen Ecke einer Facebook-Seite, wecken sollte. Hier werden alle (!) Aktivitäten eines Nutzers für alle (!) Freunde in Echtzeit sichtbar angezeigt, einschließlich Anmeldungen, Interaktionen mit Leuten und Gruppen, die nicht alle Freunde kennen. »Das öffnet Tür und Tor für Stalker!«, schmipft Ferguson. Denn nun kann jemand nicht nur verfolgen, was der Nutzer auf Facebook mit Leuten tut, die er/sie kennt, sondern auch des Nutzers Kommentare, Einträge oder »Likes« (»Gefällt mir«) an Leute, die er nicht kennt, werden sichtbar.

Ich stelle mir gerade vor, dass Eltern, die sich verständlicherweise über die Geburt eines Kindes freuen, Bilder des Nachkömmlings reinstellen. Und nicht nur im Überschwang der erfolgreichen Geburt, sondern gleich noch das Fotoalbum über die weitere Entwicklung des jungen Sprösslings nachliefern. Und natürlich Videos mit den ersten Gehversuchen etc. etc. etc. Was ist aber, wenn das Kind dann mal Jungendlicher geworden ist, und entdeckt, dass sein ganzes bisheriges Leben im Internet abrufbar ist?

Erinnert mit irgendwie an den 1998er Film »Die Truman Show« mit Jim Carrey. Es ist eine rabenschwarze Satire auf die von Medien geprägte Welt. Die zentrale Figur des Films ist der Versicherungsangestellte Truman Burbank, der – ohne davon zu wissen – der Hauptdarsteller einer Fernsehserie ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Leben eines Menschen von Geburt an zu dokumentieren und live im Fernsehen zu präsentieren. Der Produzent der fiktiven Serie hat Truman als Baby von seiner Firma adoptieren lassen. Nun wächst Truman auf, umgeben von Schauspielern, täglich beobachtet von über 5.000 Kameras. Finanziert wird die Truman Show, die 24 Stunden täglich live übertragen wird, hauptsächlich durch Product-Placement.

Wohlgemerkt, ein fiktiver Hollywood-Streifen. Aber die neuen Facebook-Funktionen kommen dem schon ziemlich nahe. Denn bei Social-Media lässt sich nun nicht mehr von einem Kanal sprechen, bei dem der Nutzer das klassische Sender-Empfänger-Modell beherrscht. »Das ist irreführend. Kanal hat etwas mit kanalisieren zu tun. Social-Media-Plattformen sind etwas völlig anderes. Bei einem Kanal kann ich die Schleuse auf oder zu machen. In sozialen Netzwerken ist das nicht möglich«, meint der Call-Center-Experte und authensis-Vorstand Klaus-J. Zschaage. So sehr die Macht des Kunden im Netz wächst, so problematisch ist das Verhältnis der Social-Web-Anbieter im Umgang mit seinen Nutzern.

Wir seien eben nicht die Kunden von Google, Facebook und Co., moniert der Datenschutz-Experte Jon Callas in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung »Die Zeit«. Wir würden nicht für ihre Dienste bezahlen. Vielmehr seien Unternehmen die Kunden, die Anzeigen in ihren Diensten schalten. »Diese Unternehmen kaufen: uns – unser Hinschauen, unsere Aufmerksamkeit. Wir sind das Produkt«, betont Callas.

Klingt fast schon wie Truman in dem Hollywood-Film. Als Nutzer wird man bei Laune gehalten, sodass wir bisweilen dem Glauben anheimfallen, wir seien tatsächlich Kunden. »Wer allerdings mit der Löschung seiner virtuellen Existenz bedroht wird«, sagt Callas, »dem Zwang zur Verwendung seines wirklichen Namens unterliegt oder genau wissen möchte, was mit den eigenen Daten geschieht, bekommt sehr schnell mit, dass die Internet-Giganten uns nicht als Kunden betrachten.«

Aber was passiert dann mit den Daten wirklich? Der Wiener Jurastudent Max Schrems machte die Probe aufs Exempel – mit einem erschütternden Ergebnis: Auch wer seine Profile löscht – Facebook löscht auf ihren Servern noch lange nicht. Es sieht sogar vielmehr so aus, dass Facebook bislang überhaupt nichts löscht. Also wenn Sie Ihr Profil bei Facebook löschen wollen, und die Social-Website sogar dreimal nachfragt, ob man wirklich alles löschen wolle – auf den Facebook-Speichern ist weiterhin alles vorhanden. (Die Story von Schrems wird gerade in den europäischen Medien durchdekliniert. Hier nur ein Beispiel.)

Studenten rund um Schrems haben nun die Initiative www.europe-v-facebook.org ins Leben gerufen. Denn die Social-Website betrachtet die Nutzerdaten »als geistiges Eigentum von Facebook« – der Fluch des kostenlosen. Die Daten, die ich rief, werd ich nicht mehr los.

Wenn Sie Daten von Ihrer Festplatte löschen wollen, dafür gibt es Tools, die wirklich nichts mehr zurücklassen. Aber Daten in der Cloud zu löschen, dafür gibt es noch keine Tools. Da hilft bis jetzt nur blindes Vertrauen – oder blanke Naivität, wer seine Daten einer kostenlosen Cloud überlässt.

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