HDD, SSD, Tape: Seher & Populisten zu Ende & Zukunft der Platte
Die Bedeutung von Marktanalysten in der IT-Branche wird durchaus kritisch gesehen. Indiskutabel aber, dass sie gewisse Tendenzen und Entwicklungen mit Eckwerten und Zahlen belegen können, oder es zumindest versuchen. Bei der Einschätzung der Zukunftschancen der Hard-Drive-Disk (HDD) ist jetzt ein Streit entbrannt. Handelt es sich bei der rotierenden Platte um eine aussterbende Spezies oder findet sie eine ökonomische Nische zum Überleben?
Das berühmte Zitat »Tape is dead!« wird üblicherweise EMCs legendärem CEO Joseph M. Tucci im Jahr 2001 zugeschrieben. Tatsächlich wurde es schon von seinem Vorgänger Mike Ruettgers geprägt. Egal, wer es erfunden hat, falsch lagen sie beide.
Die mechanische Festplatte in Bedrängnis
Historischer Austieg und Fall der Festplatte nach Wikibon (Quelle: Wikibon).Heute, zwanzig Jahre später, kommt es zum Abgesang auf den damaligen Hoffnungs- und Datenträger der Zukunft: die mechanisch angetriebene Hard-Drive-Disk. Die Kapazitäts-, Performance- und Kostenstrukturen rund um die Entwicklung von 3D-NAND-Flash in Kombination mit Tape bringen mechanische Festplattenlaufwerke in Bedrängnis. HDD – für die einen eine Auslauftechnologie, für die anderen ein typischer Fall von Totgesagten, Die Experten streiten sich.
Ab 2026 sollen SSD günstiger sein als HDD (Quelle: Wikibon).David Floyer, CTO des Analystenhauses Wikibon, wartete jüngst mit einer umfassenden Deklaration zum Ende der HDD auf. Das Marktforscherpamphlet trägt den launigen wie provokativen Titel »QLC Flash HAMRs HDD«. Seine Grundthesen:
- Das verkaufte Festplattenvolumen wird 2026 nur noch ein Zehntel des heutigen Wertes erzielen, ungeachtet von PMR, MAMR oder HAMR.
- SSDs werden bis 2026 auf Dollar/TByte-Basis günstiger als HDDs sein.
- Bis Ende des Jahrzehnts werden kombinierte Flash-/Tape-Architekturen die komplette Ablösung der magnetischen Festplatte abgeschlossen haben.
»FLAPE« gehört die Zukunft
Floyer ist ein durchaus honoriger Experte, war lange Jahre bei IBM beschäftigt, später auch erfolgreich bei den Analysten von IDC, wo er es bis zum VP brachte. Das sogenannte FLAPE-Konzept (Flash und Tape) vertrat er als einer der Ersten schon 2014: »Die Kombination von Band und Flash für große Objekte und Dateien bietet nicht nur niedrigere Kosten, sondern auch eine viel höhere Leistung als das Drehen von festplattenbasierten Alternativen. Dies verändert die Speicherdynamik für eine langfristige Datenaufbewahrung und sogenannte Big-Data-Lakes.« Diese Aussage ist immerhin sieben Jahre alt…und wurde von ihm jetzt angesichts der Quad-Level-Core-Entwicklung (QLC) erneuert.
»Nein!«, erwidert sein Kollege John Chen, Vice President bei Trendfocus, dennoch. Falsche historische Zahlen, inkorrekte Zusammenstellung aktueller Marktwerte, illusorische Prädiktionen zu Markt- und Preisentwicklung rund um HDD und SSD, die Realität sähe ganz anders aus.
Auf dem sgCampus besprechen wir das Thema FLAPE ausführlich mit Axel Lachmann von Tech Data. Mehr dazu auf dem speicherguide.de Campus »
Analysten-Befunde: SSD, HDD und Tape
Divergenzen bei Befunden und Differenzen zwischen den Analystenhäusern sind in der Regel normal, denn die Auswertungen und Vorhersagen hängen von der Quellenlage ebenso ab wie von der Kategorisierung der Segmente und Einordnung der Technologien. So direkt wie bei den erwähnten Kombattanten liest man die unterschiedlichen Meinungen jedoch selten. Bedeutet die Kombination aus 3D-NAND-Flash- (mit QLC) und Tape-Speicher nun das Ende der klassischen Festplatte? Hier ein kurzer »Fakten«-Check von weiteren Akteuren im Analysemarkt:
- IDC schätzte 2018 die gesamt anfallende Datenmenge bis 2025 auf 175 Zettabyte (ZByte). Bis 2024 entfallen davon 54 Prozent auf HDD (2018: 65 Prozent), 18 Prozent auf Tape (2018: 14 Prozent) und 28 Prozent auf NAND Flash und anderen (2018: 21 Prozent).
- Laut Gartner hat der gesamte HDD-Markt 2020 rund zwölf Prozent (bei Umsätzen von 22,1 Mrd. US-Dollar) verloren und wird bis 2024 um weitere 1,5 Prozent Compound Annual Growth Rate (CAGR) nachlassen. Für 2021 (+5 Prozent) und 2022 (+4 Prozent) sind die Prognosen jedoch positiv.
- Ebenso prognostiziert Gartner für die hochkapazitiven Nearline-HDD bis 2024 kontinuierliche Wachstumsraten im zweistelligen Bereich, sowohl bei Umsätzen wie bei Stückzahlen. Demnach sollen die Nearline-HDD bis 2024 jährlich um 39 Prozent Stückzahl und 14 Prozent Umsatz auf 17,1 Milliarden US-Dollar wachsen. Der Anteil der Nearline HDD wachse von 55 Prozent (2020) auf 84 Prozent (2024).
Gleichzeitig sieht Gartner die hochperformante Enterprise HDD im Sinkflug: von 1,8 Milliarden US-Dollar (2019) Umsatz auf Null bis 2024. Ebenso stehen danach die Notebook-HDD vor dem Ende: Bis 2024 werden 100 Prozent der mobilen PCs mit SSD ausgerüstet. Mobile- und Consumer-HDDs stürzen von 3,7 Milliarden US-Dollar (2020) auf 0,8 Milliarden US-Dollar (2024) Umsatz.
- Die Analysten von market.us sehen dem Markt für elektromagnetische Speichermedien mit SSDs, HDDs und HHDs (Hybrid Disk Drives) im Wachstum. Von 58,5 Milliarden US-Dollar in 2019 soll der Umsatz bis 2029 auf 97,5 Milliarden US-Dollar bei einem jährlichen Wachstum (CAGR) von 5,3 Prozent wachsen.
- Marketresearchfuture.com prognostiziert 93,88 Milliarden US-Dollar Umsatz bei einem CAGR von 6,5 Prozent bis 2026. Zwar seien die Marktanteile der HDD gegenüber SSD rückläufig, 2019 habe die HDD jedoch immer noch einen Anteil von 80,5 Prozent am Gesamtumsatz.gehabt. Das Wachstum der SSD sei mit 17 Prozent CAGR am größten.
- Laut forbes.com sanken die HDD-Absätze (nach Stückzahlen) in 2020 pro Quartal um zehn bis 15 Prozent. Während Notebook- und Desktop-HDDs zwischen 20 und 30 Prozent verlieren, steigen die Stückzahlen für Nearline-HDD um zirka 15 Prozent. Forbes erwartet für 2021 weiterhin rund zehn Prozent (Umsatz-)Wachstum für jene Nearline-Festplatten. Insgesamt jedoch einen Rückgang der Gesamt-HDD-Stückzahlen um 15 Prozent auf 214 Millionen Stück. Bis 2025, so die Analysten, wird dieser weiter sinken auf etwa 150 Millionen Stück.
- Alliedmarketresearch.com sieht den 3D NAND Flash-Markt mit einem Wachstum von 37,1 Prozent CAGR bei rund 50 Milliarden US-Dollar bis 2026 [[?]]. Der gesamte Storage-Markt weise im Vergleich lediglich ein jährliches Wachstum von 7,8 Prozent aus.
- Das Tape Storage Council vermeldet für 2019 ein Rekordjahr für LTO-Produkte mit über 225 Millionen verkaufter Bänder und 4,4 Millionen Laufwerken. Daten für 2020 liegen noch nicht vor. Dies entspräche einem jährlichen Wachstum von 33 Prozent, während andere Medien bei 16 Prozent rangieren. In den letzten zehn Jahren habe LTO seine Kapazität um 1.400 Prozent und die Zuverlässigkeit um 9.900 Prozent gesteigert.
- Laut Enterprise Strategy Group wollen 61 Prozent der Unternehmen (Stand 2020) ihre Investition in Tape in der Höhe fortführen oder ausbauen.
HDD, SSD, Tape: Quintessenzen und Triagen
Schon an dieser nicht-repräsentativen Auswahl der teilweise verwirrenden Befunde ist ersichtlich, dass die Marktanalysen und Vorhersagen mit Vorsicht zu genießen sind. Allerdings werden, mit aller Vorsicht formuliert, die Trends deutlich, die eigentlich auch ohne die Marktauguren auf der Hand liegen:
- Tape lebt, mit einer Roadmap bis LTO-12 (Stand heute LTO-8), und Technologien wie LTFS, Object/File-Tape-Archive oder auch FLAPE (Flash plus Tape). Kapazität, Energieeffizienz, Offline-Portabilität, Sicherheit (Ransomware) und Zuverlässigkeit sowie Kosten pro GByte halten die Bandtechnologie auch in Scale-out-Infrastrukturen, bei Cloud-Anbietern und Hyperscalern im Rennen – nicht nur zur eigentlichen Archivierung, sondern auch als Nearline-Alternative.
- Die klassische Festplatte verliert High-Performance-Areale im Datacenter und im PC-/Notebook-Markt, wird offenbar aber als High-Capacity-Ressource (Nearline) auch im Rechenzentrum auf absehbare Zeit geschätzt. Erweiterungen auf Basis vorhandener Investitionen, Kompatibilität und gewohntes Handling im RZ-Ecosystem, gerade auch im Mittelstand, sprechen für diese Alternative.
- 3D-NAND-Flash mit neuen Entwicklungen wie MLC (Multi Level Cells) und QLC (Quad Level Cells), FLAPE, fortschreitende Massenproduktion nach Lieferengpässen und wachsende Akzeptanz im Data Center sowie einhergehendem Preisverfall sprechen für nachweisbaren Aufwind auch im Enterprise-Umfeld. An Produktion- und Ressourcenengpässen in einem weltwirtschaftlich diffizilen Umfeld (Rohstoffe, Handel/Zölle, Pandemie-bedingte Engpässe) wird anscheinend gearbeitet.
Im Detail gibt es jedoch genug Raum für Infragestellungen, Zweifel und Diskussionen: Und gestritten wird über die Zukunft der HDD trefflich, wie der eingangs erwähnte Zwist zwischen Trendfocus und Wikibon zeigt.
Von Wright zu Moore: Streit über den »Cross-over«-Punkt
David Floyer von Wikibon beruft sich unter anderem auf das wirtschaftswissenschaftliche Wright'sche Gesetz von 1936, welches besagt, dass eine Technologie bei jeder Verdopplung seiner Produktionsmenge eine Verminderung der Produktionskosten um einen bestimmten, immer konstanten Prozentsatz erfahren wird. Und nach diesem Diktum sei der Siegeszug von 3D-NAND und das baldige Aus der drehenden Festplatte unausweichlich: HDD is dead!
John Chen von Trendfocus kann oder will dieser Floyer-Argumentation pro SSD und Tape versus HDD dennoch gar nicht folgen. Der Wikibon-Artikel prognostiziere nach Chens Meinung künftige Preissenkungen für Flash-Geräte zu Preisen, die die Erwartungen der meisten NAND-Hersteller selbst bei weitem unterbieten würden. Bei sinkenden Umsätzen würden aber auch die Ausgaben für die Entwicklung gedrosselt werden müssen. Nearline-HDD werde in den kommenden Jahren die primäre Zukunft von Festplatten dar- und sicherstellen. Und dort als etablierte Technologie die SSD übertreffen. Der Markt sei »nicht einmal in der Nähe eines Cross-over.«
Die Zukunft der HDD? Die Analysten in ihrem eigenen Wettbewerb werden unser Wissen auch zukünftig mit ihrer Expertise bereichern – inklusive der Seher, Populisten und Verschwörungstheoretiker unter ihnen.