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30 Jahre World Wide Web: Was gibt es zu feiern?

Kolumne Doc Storage:

Als vor nunmehr 30 Jahren Tim Berners-Lee seinen Kollegen am CERN die Pläne für ein »neues« Internet vorlegte, ging es ihm vor allem um eine bessere Übersicht, Organisation und Erreichbarkeit der dort vorhandenen Daten. Heute, da die Hälfte der Weltbevölkerung online ist, und sich dieser Dienst zumindest aus unserem Alltag nicht mehr wegdenken lässt, ist es kaum noch vorstellbar, dass im »Netz« der späten 80er Jahre nur ein paar Tausend Rechner, vor allem an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen vernetzt waren.

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Er schreibt selbst zu diesem Tag: »(…) Der Kampf für das Netz ist eines der wichtigsten Anliegen unserer Zeit (…) Angesichts der Artikel über den Missbrauch des Netzes ist es verständlich, dass viele Leute sich sorgen und unsicher sind, ob es wirklich einen positiven Einfluss hat. (…) Aber es wäre defätistisch und einfallslos anzunehmen, dass es in seiner heutigen Form in den nächsten 30 Jahren nicht zum Besseren verändert werden kann.« Sein damaliger Vorgesetzter beantwortete die Pläne unter dem Titel »Information Management: A Proposal« damals mit einem »Vage, aber interessant.« 1991 kam dann die erste Internet-Seite, etwas später HTML und HTTP.

Da ist also jemand ausnahmslos positiv gestimmt und optimistisch, was sein eigenes Werk angeht. Allerdings warnt er im gleichen Atemzug vor den negativen Auswirkungen und Nutzungsmöglichkeiten, dem Missbrauch von Daten und Informationen, Verleumdung anderer Nutzer und Zensur der Beiträge. Er meint, absichtlich verbreiteten böswilligen und kriminellen Inhalten könne mit entsprechenden Programmen und Gesetzen begegnet werden, Geschäftsmodelle, die auf Betrug und Fehlinformation aufgebaut sind, ließen sich unterbinden.

Allerdings müssten Unternehmen wesentlich mehr tun, um ihr Streben nach Umsatz und Gewinn nicht durch Bruch von Grundrechten, Unterhöhlung der Demokratie und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu unterstützen. Seine World Wide Web Foundation arbeitet schon seit längerem an einem Vertrag für ein besseres Netz, der dann von Unternehmen, der Zivilgesellschaft und Regierungen unterzeichnet werden soll. Darüber hinaus soll in Zukunft das Solid genannte Open-Source-Projekt den einzelnen Nutzern ermöglichen zu bestimmen, wo seine Daten gespeichert werden und wer welche lesen oder gar nutzen darf.

30 Jahre WWW: Netz nicht mehr zu ändern

Alles sehr löbliche Initiativen, allerdings kommen diese Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu spät. Man gewinnt eher den Eindruck, dass der Zauberlehrling nun mit Verspätung versucht, die von ihm gerufenen Geister zurück in den Besenschrank zu bannen. Allerdings haben diese, um im Bild zu bleiben, das gesamte Haus bereits überschwemmt, und sind dabei, immer neue Eimer heranzuschleppen. Neben dem, was der gemeine Nutzer heute als »Netz« bezeichnet, laufen auch noch Daten über FTP und andere Protokolle, und das Darknet ist größtenteils auch auf anderen Wegen zu betreten. Aber schauen wir einmal nur auf das, was sich heute über die drei unentbehrlichen W erreichen lässt.

Natürlich erleichtert es unser Leben, wohin man schaut. Annähernd alle Bereiche des Lebens hat das Netz erobert und uns wird eingeredet, dass es ohne es überhaupt nicht mehr ginge. Vom Zugriff auf unsere Bankdaten, der Bestellung von Pizza bis Schuhwerk, Besuchen in virtualisierten Museen, Buchung von Reisen bis hin zu Routenplanung, Versorgung mit den neuesten Nachrichten und einem Lexikon, das zu jedem Thema etwas zu sagen weiß, unterstützt uns »das Netz«. Es ist immer da, nicht nur zuhause oder in der Firma am Rechner, nein, fast jeder von uns trägt es mit einem kleinen aber hochauflösenden Bildschirm in der Tasche herum. Und informiert jeden, den es interessieren mag, über die täglichen Aktivitäten, Hobbys, Aufenthaltsorte und Befindlichkeiten.

Im Netz alles möglich – manchmal zu viel

Aber wie immer muss ich etwas Salz in die allzu fade Feierlichkeitensuppe streuen. Ganze Industrien haben sich hieraus entwickelt, Anwendungen in diesem Bereich machen heute riesige Umsätze und blähen die Anbieter zu abstrus überbezahlten Monstren auf, deren Niesen allein die Börsen erzittern lässt. Menschen, die ohne das Netz nicht den Ansatz einer Chance gehabt hätten, über ihre Dorfgrenzen hinaus bekannt zu werden, weil sie schlicht nichts können, werden über Nacht zu Stars und Sternchen, denen die machtlosen Hersteller von Kleidung, Schmuck, Toilettenartikeln und anderen Verbrauchsgütern Millionen und Milliarden in jede Körperöffnung schieben. 16jährige Pubertierende brechen die Schule ab, um fürderhin als »Influencer« anderen gutgläubigen 16jährigen Zeugs überzuhelfen, das sie nicht brauchen.

Aber über all diese Phänomene haben wir uns schon lange und oft genug echauffiert. Die viel schlimmeren Geister sieht der »normale« Nutzer aus ihren Ecken gar nicht kommen, bemerkt sie erst, wenn überhaupt, wenn es zu spät ist. Die Erlangung von Daten, die dem Bank- und anderen Geheimnissen unterliegen, muten sich im Vergleich zu diesen fast schon harmlos an. Staaten versuchen, und nicht erst seit neuestem, Wahlen und andere Ereignisse in nicht befreundeten Ländern zu beeinflussen, durch falsche Meldungen, falsche Wahlanalysen, Angriffe auf staatliche Rechner und noch vieles mehr. Höchstkriminelle nutzen das Netz als Tummelplatz, um dort Waffen, Organe, Frauen, Kinder und anderes zu handeln. Und nicht zuletzt diejenigen, von denen wir bis vor ein paar Jahren gedacht hätten, dass sie auf unserer Seite stehen, nämlich die demokratischen Staaten mit ihren zahlreichen Geheimdiensten, zapfen alle Daten ab, derer sie habhaft werden können, natürlich immer unter der Vorgabe des Schutzes vor Verbrechen und Terrorismus.

Letztlich hilft nur die eigene Datensparsamkeit

Nein, Herr Berners-Lee, so einfach ist das nicht – die Beteiligten einen Vertrag unterzeichnen lassen und glauben, daran würden sich dann alle schon halten. Glauben, dass die Änderung von Gesetzen irgendjemanden davon abhalten würde, das Netz für kriminelle Aktivitäten zu nutzen. Hoffen, dass die Nutzer schon die Open-Source-Software nutzen werden, um die eigenen Daten zu schützen. Das alles wird nicht passieren.

Ich kann jetzt schon die Leserbriefe erahnen, die von mir fordern zu beschreiben, wie denn ein Mittel gegen all das aussehen könnte. Ein Zauberspruch, wie man denn die ganzen Geister wieder loswerden könne, die Herr Berners-Lee gerufen hat. Obwohl das nicht mein Problem ist, habe ich lange darüber nachgedacht. Leider fällt mir hierzu nur Ockham ein. Nur die Daten tatsächlich zu erzeugen und im Netz zu speichern, von denen wir sicher sind, dass sie andere, und ich meine ALLE anderen, auch sehen dürfen. Und nicht nur jetzt, sondern in Zukunft. Immer. Das ist ein Schock, ich weiß, aber unterhalten Sie sich hierüber mal mit einem Bewerber, der deshalb eine Stelle nicht bekommen hat, weil er vor Jahren einmal im betrunkenen Zustand ein paar dekorative Bilder auf einer angeblich sozialen Plattform hinterlassen hat. Fragen Sie denjenigen, der im Netz einmal Spielzeug für Erwachsene bestellt hat, weil die Plattform ja so anonym war. Und sich im Anschluss wundert, dass ihm der Versandhändler aus Seattle im Anschluss mit schöner Regelmäßigkeit ähnliche Artikel empfiehlt. Also: erst denken, dann handeln. Aber diese Reihenfolge hat »das Netz« ja leider bei vielen von uns schon umgedreht.

Ich bin dankbar für jeden Vorschlag. Und man komme mir jetzt nicht mit diesem Blödsinn über Netztransparenz, Datenschutz und dem Recht an den eigenen Daten. Außer diesem GDPR/GDPDU-Nonsens aus Brüssel hat uns das Nullkommanichts eingebracht, und das was da ist, ist nicht durchsetzbar, wie die letzten Jahre gezeigt haben. Wie gesagt, ich bin dankbar – aber nicht über eine dann folgende Diskussion ärgern… 😉

Gruß
Doc Storage

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