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Morgen lebst Du anders: Orakel über die »Arbeitswelt von morgen«

Kolumne Doc Storage:

Mensch & Maschine: Dell orakelt über die Arbeitswelt von morgen: Wenn ich so etwas lese, egal ob welcher Form, fühle ich mich an ein Buch aus meiner Jugend erinnert, irgendwann in den 70er Jahren. »Morgen lebst Du anders«, und es beschrieb in bunten Bildern und ebenso bunt ausgemalten Texten die Welt, in der wir angeblich im Jahr 2000, also 25 Jahre später, leben würden. Da gab es Weltraum- und Unterwasserstädte, fliegende Individualtransportmittel (natürlich alles elektrisch), Ernährung auf (meeres-)pflanzlicher Basis, Computer am Handgelenk, Arbeit nur noch zuhause, kein Militär mehr, keine Währungen und noch vieles andere. Ich muss kaum betonen, dass kaum etwas vom angedachten überhaupt auch nur annähernd Realität geworden ist. Weder im Jahr 2000, noch zwei Jahrzehnte später.

Vielleicht der Rechner am Handgelenk, aber auch mehr schlecht als recht, ein paar Ernährungsarten (in der Nische), und ja, die Arbeit von zuhause. Das war’s dann aber auch schon. Weder leben wir unter Wasser noch im Weltraum, die wenigen Prototypen für Lufttaxis benutzen nur die ganz mutigen, und es gibt mehr Währungen und Kriege als je zuvor.

Vor diesem Hintergrund sollte man die jüngsten Veröffentlichungen eines »Institutes for the future« betrachten, die sich allerdings nur trauen, etwas mehr als zehn Jahre in die Zukunft zu blicken.

Befähigte Mitarbeiter (was immer das sein soll), Kenntnis künstlicher Intelligenz (KI) und – jetzt kommts – Chancengleichheit werden dann das Arbeitsumfeld bestimmen. »Kollaborative KI« – herrlich, das muss sich irgendein überbezahlter Consultant in seiner spärlich bemessenen Freizeit ausgedacht haben… Genauso wie »multimodale Schnittstellen«, »haptisches 3D-Feedback« und – ach ja – »Extended Reality“, weil Augmented reicht ja dann nicht mehr.

Dabei gehen zwei Drittel der befragten »Führungskräfte« davon aus, dass sie in zehn Jahren »neue Technologien« einsetzen werden, um durch die »Beseitigung menschlicher Vorurteile für mehr Chancengleichheit« zu sorgen. Wie bitte? Da scheint jemand ganz hinten im Phrasendreschbuch der heutigen Politikerkaste bedient zu haben. Bewerber sollen dann verstehen müssen, wie ihre Angaben von selbstlernenden Systemen der Personalabteilungen verarbeitet werden. Einerseits sollten sie das heute schon, denn bei vielen Entscheidungen aktueller Personalabteilungen kann man nur hoffen, dass diese von bösen Maschinen und nicht von denkenden Menschen getroffen werden.

Andererseits allerdings ist nicht ganz plausibel, warum die Chancengleichheit größer werden soll, nur weil Entscheidungen von Maschinen und nicht mehr von Menschen getroffen werden. Die »vollständige Transparenz« aller Komponenten eines algorithmischen Bewerbungsverfahrens wird es nie geben, nicht in zehn und nicht in hundert Jahren. Die Halbgötter in den Personalabteilungen würden damit einen Großteil ihrer Macht über den Rest des Unternehmens abgeben, und dass das niemals passieren wird, wissen wir alle. Also: alles Klumpatsch, das wissen wir heute schon.

Ein ebenso großer Kracher ist die Aussage von mehr als der Hälfte der befragten »Führungskräfte«, dass ihre Mitarbeiter in zehn Jahren »bei der Nutzung neuer Technologien fit« sein müssen. Oha. Das erwartet jeder Chef, seit Anbeginn aller Zeiten, nicht zu Unrecht von seinen Leuten. Und die Fähigkeit, künstliche Intelligenz (was immer das sein mag) anzuwenden, haben sich sogar deren »Erfinder« Weizenbaum und Minsky nicht zugetraut. Ebenso wie diese beiden, aber auch viele andere Pioniere auf diesem Gebiet schon vor Jahrzehnten eine Änderung des Arbeitsschutzrechtes und eine Einschränkung bei der Anwendung dieser Technologie angemahnt haben. Alles ganz alter Wein in noch älteren Schläuchen. Also: Geschwurbel.

Die gesamte Studie ist so hilfreich und nötig wie ein Kropf. Hier wird von Leuten in die Zukunft geblickt, die Jahr für Jahr schon daran scheitern, lediglich die nächsten zwölf Monate zu skizzieren.

KI-Entwicklung & -Einführung kein Marketing-Thema

Was völlig fehlt, ist die Übergabe der (möglichen) Entwicklungen in die richtigen Hände. Die Entwicklung und Einführung künstlicher Intelligenz ist kein technisches Thema und darf auch nicht von Marketing-Fraggles vorangetrieben werden. Hier müssen wir die Philosophie und Anthroposophie um Hilfe bitten, damit wir nicht völlig technikgläubig gegen eine sehr dicke Wand laufen. Oder irgendwann den Geist nicht mehr loswerden, den wir als naiver Lehrling in die Welt gesetzt haben.

Erst wenn wir die Ergebnisse und Empfehlungen dieser Geisteswissenschaften hören und verstehen werden, sind wir in der Lage, überhaupt die zukünftige Entwicklung auf unserem Gebiet vernünftig zu steuern. Und uns nicht durch irgendwelche »Führungskräfte« oder »Personalabteilungen« in völliger Unkenntnis in den sicheren Untergang treiben zu lassen.

Und jetzt komme mir niemand mit »gut und schön, aber was gemacht werden kann, das wird auch gemacht«. Diese Einstellung hat uns die Kernenergie, zigfachen atomaren Overkill und andere wunderbare technische Errungenschaften beschert.

Gruß
Doc Storage

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