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Bitkom: Deutschland benötigt mehr digitale Souveränität

Bitkom: Deutschland benötigt mehr digitale SouveränitätDie deutsche Wirtschaft ist zu 90 Prozent vom Import digitaler Technologien und Services abhängig. Diese Abhängigkeiten, besonders aus den USA und China, und politische Unsicherheiten werfen Fragen zur digitalen Souveränität auf. Firmen fordern dringend Maßnahmen zur Stärkung von Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Der Bitkom erwartet, dass die neue Bundesregierung, digitale Souveränität zum Top-Thema macht.

Die bevorstehende Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident sorgt für Unruhe in der deutschen Wirtschaft und könnte die Digitalisierung erschweren. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom unter mehr als 600 deutschen Unternehmen ab 20 Mitarbeitenden, betrachten 81 Prozent der Betriebe ihre Abhängigkeit von digitalen Technologien und Dienstleistungen aus den USA als erheblich. Dabei stuften 40 Prozent diese Abhängigkeit als »eher hoch« und 41 Prozent als »sehr hoch« ein. Insgesamt 87 Prozent der Unternehmen importieren digitale Technologien und Services aus den Vereinigten Staaten, während 60 Prozent entsprechende Güter dorthin exportieren. Gleichzeitig planen 56 Prozent der Firmen Anpassungen ihrer Geschäftsstrategien und 50 Prozent eine Umgestaltung der Lieferketten infolge des Wahlsiegs Trumps.

95 Prozent der Befragten sehen die Notwendigkeit, Deutschlands Abhängigkeit von den USA zu reduzieren. Auch die Abhängigkeit von China wird kritisch betrachtet: 79 Prozent der Unternehmen beziehen digitale Technologien aus dem asiatischen Land, davon fühlen sich 35 Prozent »eher« und 44 Prozent »sehr stark« abhängig. Die politische Dominanz Chinas bereitet 68 Prozent der Unternehmen Sorgen.

Dr. Ralf Wintergerst, BitkomDr. Ralf Wintergerst, BitkomDonald Trump wird am Montag erneut Präsident der Vereinigten Staaten, Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst sieht darin eine große Herausforderung für Deutschland und Europa: »Zwar werden die USA einer unserer wichtigsten Partner bleiben, dennoch müssen wir uns ab sofort stärker, resilienter und chancenorientierter aufstellen und technologisch wie wirtschaftlich unabhängiger werden. Die neue Bundesregierung muss die Wirtschaft wieder in den Mittelpunkt der Politik stellen und digitale Souveränität zum Top-Thema machen.«

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Digitale Technologien als Lebensader der Unternehmen

Eine überwältigende Mehrheit von 96 Prozent der deutschen Unternehmen ist auf digitale Importe angewiesen. Besonders gefragt sind Endgeräte wie Smartphones oder Laptops (90 Prozent), Software-Anwendungen (75 Prozent) und Cybersicherheitslösungen (72 Prozent). Hardware-Komponenten wie Chips oder Sensoren werden von 69 Prozent der Unternehmen importiert, während digitale Maschinen und Geräte für die Produktion bei 66 Prozent eine Rolle spielen. Die Hälfte der Unternehmen bezieht digitale Dienstleistungen wie IT-Beratung aus dem Ausland.

96 Prozent der deutschen Unternehmen beziehen digitale Technologien und Leistungen aus dem Ausland. (GrafiK: Bitkom)96 Prozent der deutschen Unternehmen beziehen digitale Technologien und Leistungen aus dem Ausland. (GrafiK: Bitkom)

Für viele Unternehmen ist ein Ausfall von Digitalimporten existenzbedrohend. 17 Prozent könnten nur bis zu sechs Monate durchhalten, weitere 36 Prozent zwischen sieben und zwölf Monaten. Lediglich drei Prozent könnten länger als zwei Jahre ohne Importe überleben.

»Digital souverän ist ein Land, das eigene substanzielle Fähigkeiten in digitalen Schlüsseltechnologien besitzt und selbstbestimmt darüber entscheiden kann, aus welchen Ländern es digitale Technologien bezieht«, erklärt Wintergerst. »Ein digital souveränes Land ist nicht einseitig von bestimmten Bezugsquellen im Ausland abhängig. Die deutsche Wirtschaft braucht starke, vertrauenswürdige Partner für die digitale Transformation. Gleichzeitig müssen wir digital unabhängiger werden, um nicht erpressbar zu sein. Bei Schlüsseltechnologien ist die Abhängig derzeit besonders groß.« So sehen 83 Prozent Deutschland stark bzw. eher abhängig von Halbleiter-Importen, 69 Prozent bei Komponenten für das Internet of Things sowie 67 Prozent bei Künstlicher Intelligenz.

Herkunft und Export digitaler Technologien

Die wichtigsten Herkunftsregionen für Digitalimporte sind die EU und die USA, aus denen jeweils 87 Prozent der Unternehmen Technologien und Services beziehen. China folgt mit 78 Prozent auf Platz drei. Länder wie Taiwan, Japan und Indien gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Importe digitaler Güter und Dienstleistungen gibt es auch aus Krisen- und Kriegsregionen: Mehr als jedes zehnte Unternehmen (häufig: 1 Prozent, in Einzelfällen: 12 Prozent) importiert aus der Ukraine, fast ebenso viele (häufig: 2 Prozent, in Einzelfällen: 9 Prozent) bezieht digitale Technologien und Services aus Israel. »Kein einziges der befragten Unternehmen gibt hingegen Russland als Handelspartner an«, sagt Wintergerst. »In der digitalen Wirtschaft spielt Russland keine Rolle mehr, das Vertrauen in Russland ist nachhaltig zerstört.« Auch Exporte nach Russland gebe es faktisch nicht.

Exporte erfolgen vor allem in EU-Länder (92 Prozent), die USA (60 Prozent) und Japan (55 Prozent). Dennoch exportieren 71 Prozent der Unternehmen keine digitalen Technologien ins Ausland.

Bei Digital-Importen ist die deutsche Wirtschaft vor allem von den USA und China abhängig. (GrafIk: Bitkom)Bei Digital-Importen ist die deutsche Wirtschaft vor allem von den USA und China abhängig. (GrafIk: Bitkom)

Maßnahmen zur Reduzierung der Abhängigkeit

Die Abhängigkeit von Importen hat viele Firmen bereits zu Maßnahmen bewegt. 59 Prozent diversifizierten ihre Lieferanten, ebenso viele reduzierten Geschäftsbeziehungen zu bestimmten Ländern. 42 Prozent erhöhten ihre Lagerbestände, während 27 Prozent ein Risikomanagement einführten. Dennoch gaben 13 Prozent der Befragten an, keine Maßnahmen ergriffen zu haben.

»Es ist ein ermutigendes Signal, dass die deutsche Wirtschaft sensibel und mit konkreten Maßnahmen auf die Abhängigkeiten bei Digital-Importen reagiert«, betont Bitkom-Präsident Wintergerst. »Die meisten Unternehmen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Wichtig ist, dass die Politik diese Bemühungen wirksam flankiert, insbesondere durch innovations- und investitionsfördernde Rahmenbedingungen.«

Bei allen Schlüsseltechnologien ist die deutsche Wirtschaft absolut unselbstständig. (Grafik: Bitkom)Bei allen Schlüsseltechnologien ist die deutsche Wirtschaft absolut unselbstständig. (Grafik: Bitkom)

Vertrauen in internationale Partnerschaften

Internationale Partnerschaften sind für die meisten Unternehmen mit beträchtlichen Risiken verbunden. Die Hälfte (50 Prozent) gibt an, faktisch keine Abwehrmöglichkeit zu haben, wenn sie von ausländischen Partnern oder Regierungen unter Druck gesetzt würden. 62 Prozent gehen hinsichtlich der Verlässlichkeit der Politik am Sitz ihrer Partner gezwungenermaßen Risiken ein. Für 59 Prozent gibt es zu bestehenden Abhängigkeiten von Geschäftspartnern im Ausland schlichtweg keine Alternative. Nahezu alle (94 Prozent) geben gleichzeitig an, dass Vertrauen in die Politik des Partnerlandes eine wichtige Rolle bei der Auswahl globaler Geschäftspartner spielt.

Das Vertrauen der deutschen Wirtschaft ist stark von geopolitischen Entwicklungen geprägt. In die EU setzen 97 Prozent der Unternehmen großes Vertrauen, gefolgt von Japan (73 Prozent) und Großbritannien (60 Prozent). In die USA hat aktuell jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) eher oder sehr großes Vertrauen, bereits 25 Prozent geben jedoch an, nur sehr geringes oder gar kein Vertrauen in die Vereinigten Staaten zu haben.

Noch mehr Skepsis herrscht gegenüber China: Jedes vierte deutsche Unternehmen (26 Prozent) hat sehr oder eher großes Vertrauen, ebenso viele (26 Prozent) eher geringes Vertrauen. Fast die Hälfte (44 Prozent) der Unternehmen hat nur sehr geringes oder gar kein Vertrauen in China. Das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in den Standort Russland ist praktisch an einem Nullpunkt angekommen. 97 Prozent der Unternehmen geben an, »gar kein Vertrauen« in Russland zu haben, weitere drei Prozent haben lediglich ein eher oder sehr geringes Vertrauen. Die Ukraine genießt bei 37 Prozent Vertrauen, Israel bei 40 Prozent. Laut Wintergerst wird die Wirtschaft verstärkt auf die EU und Länder wie Japan und das Vereinigte Königreich setzen müssen.

Ohne Digitalimporte würde jedes zweite Unternehmen kein Jahr überleben können – eine Besserung ist kaum in Sicht: (Grafik: Bitkom)Ohne Digitalimporte würde jedes zweite Unternehmen kein Jahr überleben können – eine Besserung ist kaum in Sicht: (Grafik: Bitkom)

Forderungen nach digitaler Souveränität

Das Gesamt-Zeugnis für die digitale Souveränität Deutschlands fällt schlecht aus. Aktuell sehen 91 Prozent der Unternehmen Deutschland stark abhängig (36 Prozent) bzw. eher abhängig (55 Prozent) von digitalen Technologien und Leistungen aus dem Ausland. Nur eine Minderheit von sieben Prozent geht davon aus, dass sich diese Abhängigkeit in fünf Jahren verringert haben wird. Ein knappes Drittel (29 Prozent) rechnet mit einer Fortschreibung des Status-quo, sechs von zehn Unternehmen (60 Prozent) rechnen aber mit einer Zunahme der Abhängigkeit.

Von der neuen Bundesregierung fordern die deutschen Unternehmen deutlich stärkere Bemühungen als bislang, um den wachsenden Herausforderungen zu begegnen: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft müsse massiv gesteigert werden, sagen 89 Prozent. 84 Prozent meinen, die neue Bundesregierung sollte die Stärkung der digitalen Souveränität ganz oben auf ihre Agenda setzen.

»Die Stärkung unserer digitalen Souveränität wird über unsere künftige Wettbewerbs- und Widerstandsfähigkeit und damit über unseren Wohlstand und unsere Sicherheit entscheiden«, meint Wintergerst. »Unsere digitale Souveränität ist ausschlaggebend dafür, ob wir auf internationaler Ebene als starker Player wahrgenommen werden und geopolitisch handlungsfähig sind.«

Drei Dinge seien dafür elementar:

  1. Die richtigen strategischen Technologiepartner zu finden und zu binden.
  2. Adäquate Antworten auf technologische Erpressungsversuche anderer Länder geben zu können.
  3. Auf dem Weg in das digital souveräne Deutschland alle Menschen und Unternehmen mitzunehmen.

Für Wintergerst ist wichtig, dass Deutschland seine Fähigkeiten in digitalen Schlüsseltechnologien gezielt weiterentwickelt: »Zudem müssen wir in kritischen Bereichen wie der Mikroelektronik, der IT- und Cyber-Sicherheit, der KI, dem Industrial Metaverse und dem Quantum-Computing eine weltweite Technologieführerschaft erlangen. Es geht nicht um technologische Autarkie, sondern um die Möglichkeit zu selbstbestimmten Entscheidungen in der digitalen Welt.«