IDC: deutsche Firmen ohne zukunftsfähiges Enterprise-Networking
Die politischen, technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen könnte für deutsche Unternehmen derzeit kaum größer sein. Laut IDC gehören nichtgenutzte technische Möglichkeit zu den Problemherden. Enterprise-Networking wird zwar als kritisches Element erkannt, viele schätzen ihre IT-Vernetzung aber als mangelhaft ein.
Deutsche Firmen sind nicht richtig vernetzt. Einer IDC-Umfrage zum Thema Enterprise-Networking zufolge offenbart die Mehrheit der Befragten Schwächen in der Vernetzung der eigenen Systeme, aber auch in der Vernetzung mit Partnern und Kunden. »Obwohl unsere letzte Studie wesentlich größere Fortschritte erwarten ließ, konnten viele der befragten Unternehmen ihren selbst gesteckten Zielen nicht gerecht werden«, erklärt Marco Becker, Projektleiter Marco Becker, Senior Consultant bei IDC. Dies sei unter anderem natürlich der wirtschaftlichen Lage geschuldet, aber auch unternehmensinterne Schwächen, vor allem Komplexität und mangelnde Technologieadaption gehören zu den Ursachen.
»Der aktuelle Zustand der Vernetzung in deutschen Unternehmen ist äußerst bedenklich«, meint Becker. »Vor allem für die allgemeine Vernetzung über die gesamte IT-Landschaft hinweg geben 30 Prozent der Befragten mit `minimaler Vernetzung´ die geringste Ausprägung auf einer fünfstufigen Reifeskala an.« Diese sollen sich durch einen nahezu ausschließlichen Legacy-Betrieb definieren, minimale Integration und maximale Isolation von Geschäftsprozessen und Daten.
»In Anbetracht der Wichtigkeit von Konnektivität und den zukünftigen Anforderungen ist das bei weitem zu wenig« warnt Becker. Lediglich 23 Prozent befinden sich auf den hohen Niveaus proaktiver und umfassender Vernetzung, die sich durch starke Cloud-Adaption und zentrale, einheitliche Datenmodelle auszeichnen, die im Optimalfall auch bereit für den Einsatz von KI/ML für Geschäftsentscheidungen in Echtzeit sind. Folglich sagen auch insgesamt 67 Prozent aus, dass für sie die Realisierung von Business-Projekten, die von Konnektivität abhängen, eine große oder sogar sehr große Herausforderung ist. Allerdings sind sich viele Unternehmen dieser Defizite offensichtlich bewusst. So wollen 42 Prozent in den kommenden 24 Monaten ihre Strukturen modernisieren und in die beiden besten Reifestufen vorstoßen.
Auch insbesondere im Hinblick auf Kunden und die Supply-Chains sind nach Meinung von IDC Maßnahmen dringend geboten: Ist die Vernetzung von Kundenbeziehungsprozessen schlecht, leiden die Umsätze und fehlt die Vernetzung mit Partnern und Supply-Chains, leidet die Business-Continuity. In Supply-Chains wird die Fähigkeit zur Vernetzung für Datenaustausch und Collaboration zudem immer häufiger zur Voraussetzung für eine erfolgreiche und effiziente Zusammenarbeit.
Top-Herausforderungen 2022/2023
Die aktuellen Herausforderungen sind vor allem technisch Art und offenbaren auch die Komplexität heutiger Netzwerkumgebungen: Unter den Top 3 befinden sich die Anbindung und Migration in Cloud- sowie Multi-Cloud-Umgebungen (28 %). Hinzukommen die Einbindung neuer Zugangs- und Netzwerktechnologien (27 %) sowie die Konnektivität zwischen Niederlassungen (22 %). Auch die Umsetzung stärker visualisierter, skalierbarer und anpassungsfähiger Netzwerke (19 %) sowie dementsprechend auch flexiblerer Nutzungsmodelle (21 %), die mit der Cloud- Adaption schritthalten, sind häufig genannte Themen.
»Neben den reinen Netzwerk-Herausforderungen wurden auch generelle Konnektivitäts-Herausforderungen erfasst«, sagt IDC-Analyst Becker. »Die Netzwerke spielen bei diesen eine wichtige, aber nicht exklusive Rolle, denn Konnektivität ist das Ergebnis eines Zusammenspiels verschiedener IT-Bereiche: Dominant ist hier die Anpassung der IT- und Netzwerkfähigkeiten an Business-Erwartungen (38 %), gefolgt von der Einbindung neuer Technologien wie IoT und Cloud (33 %) sowie dem generellen Datenwachstum (32 %).«
Reaktion auf Netzwerk-Störungen meist zu langsam und ineffizient
Als bedenklich stufen die Marktforscher auch das Tagesgeschäft (Network-Operations) ein: Rund ein Viertel der Befragten begründen kritische Problemfelder mit mangelnde Zeit für strategische Aufgaben wegen operativer Aufwände oder fehlende technologische Unterstützung. Neues bzw. zusätzliches Personal zu bekommen sei schwierig und auch der Bereich Schulungen sei sehr ausbaubar. Gleichzeitig sagen ganze 64 Prozent aus, dass eine schnelle und effiziente Reaktion auf Störungen für sie eine große oder sehr große Herausforderung darstelle. Dies gelte auch für die schnelle Anpassung der Netzwerkumgebung an neue Business-Projekte oder -Applikationen. Beim Thema NetOps gibt es also deutliches Verbesserungspotenzial.
SDN in fünf Jahren De-Facto-Standard
In ihren Bestrebungen, die Konnektivität zu verbessern, sind aus Sicht der Befragten die wichtigsten IT-Technologie-Investitionsbereiche aktuell 5G (32 %), Cloud/Multi Cloud (29 %) und Big Data/Analytics/AI/ML (29 %), dicht gefolgt von SDN-Technologien und Network-Security.
»Insbesondere das Thema 5G ist im Vergleich zu den letzten Jahren durch seine Marktreife deutlich gestiegen und hat Big Data/Analytics/AI/ML von der Spitze verdrängt«, sagt Becker. »Wichtig ist aber auch das Thema SDN: Bereits 65 Prozent halten SDN für eine kritische Netzwerk-Technologie und genauso viele gehen davon aus, dass SDN bereits in fünf Jahren der De-facto-Standard für Netzwerkumgebungen sein wird.«
Konkrete Netzwerk-Investitionen finden vor allem bei cloudbasierten Netzwerklösungen, beispielsweise Interconnect und Network-as-a-Service (NaaS) statt. Für NaaS liegen die Vorteile für jeweils ein Viertel der Befragten insbesondere bei der höheren Ausfallsicherheit und besseren Reaktion auf Störungen sowie der Förderung geschäftlicher Innovationen durch mehr Netzwerkflexibilität. Bei Interconnect-Lösungen ist es häufig die Ermöglichung einer End-to-End- Sicherheit (25 %) und die bessere Verbindungsperformance (22 %). Auch skalierbare und flexible Kostenmodelle sprechen für die Cloud bereits jetzt entfallen fast die Hälfte der Netzwerkkosten auf OPEX, Tendenz über die nächsten Jahre weiter steigend.
Unternehmen investieren in 5G
Der detaillierte Blick in die Wireless- und Edge-Pläne der Unternehmen zeigt, dass »Wireless First« stärker priorisiert wird als »Edge First«. Für einige ist es aktuell schlichtweg wichtiger, überhaupt eine durchgehend gute Vernetzung umzusetzen und Wireless ist oft der einzige oder bessere Weg gegenüber kabelgebundenen Optionen und ermöglicht mobilitätsabhängige Anwendungsszenarien. Für die große Mehrheit ist auch die Kombination aus Wireless-Vernetzung und Edge-Verarbeitung für gemeinsame Synergien relevant. IDC sieht hier Potenzial für sogenannte connectivity-driven Geschäftsmodelle.
Für die Wireless-Vernetzung wollen aktuell 25 Prozent primär ein hybrides Wireless-Netz aus 5G und WiFi-6 aufbauen, 41 Prozent fokussieren sich auf 5G (öffentlich und privat) und 14 Prozent auf WiFi-6. Insgesamt sieht IDC eine klare Tendenz zu 5G. Folglich sollen nach momentanem Stand viele Use-Cases wie IoT, Smart-Buildings, Edge-Computing oder Mobilitätsdienste mehrheitlich mit 5G oder hybriden Architekturen umgesetzt werden.
Security: Unternehmen setzen auf ZTNA und SASE
Die sich verändernden IT-Umgebungen und insbesondere das Verschwinden eines klaren Perimeters erfordern wesentliche Maßnahmen bei der Netzwerk-Sicherheit. Laut Becker sei es erfreulich, dass Security-Ansätze wie ZTNA, SASE und SDP bereits von elf Prozent der Organisationen umgesetzt wurden, 38 Prozent wollen sie aktuell umsetzen und 26 Prozent innerhalb der kommenden zwölf Monate: »Das entspricht in Summe einer großen Mehrheit von 75 Prozent. Beim SASE-Konzept werden viele Fähigkeiten als relevant erachtet, insbesondere die Netzwerktransparenz sowie die Sicherheitsfeatures zur Absicherung von User Traffic zu Clouds. Operative Vorteile erhofft man sich insbesondere beim Network- und Security-Lifecycle-Management und bei der Erreichung eines ganzheitlichen Zero-Trust-Konzepts.«
Nachhaltige Netzwerk-Strukturen
IT-Netzwerke sind ressourcenintensiv und gehören nicht zuletzt durch das Datenwachstum zu den großen Energieverbrauchern. 68 Prozent der Organisationen stimmen zu, dass ihre Netzwerke einen signifikanten Beitrag zum Nachhaltigkeitsprofil des Unternehmens leisten und 69 Prozent arbeiten aktiv daran, ihre Netzwerke im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern.
Wobei Firmen vermutlich weniger durch ein gesteigertes Umweltbewusstsein umdenken, sondern aus schlichten wirtschaftlichen Aspekten, wie steigenden Energiekosten und nicht verfügbaren Netzwerk-Equipment. »Unabhängig von der Kernmotivation ist mehr Nachhaltigkeit aber immer ein erwünschtes Win-Win-Szenario, Organisationen für ihre kompletten IT-Landschaften evaluieren sollten«, rät IDC-Analyst Becker.
Vernetzung & Konnektivität bilden das Rückgrat der IT
Grundsätzlich sind sich Unternehmen der Bedeutung des Netzwerks und einer guten Anbindung bewusst, schmale Budgets und die hohe Auslastung mit operativen Aufgaben sind häufige Begründungen nicht agieren zu können. »Gleichzeitig verhindern mangelnde finanzielle, zeitliche und personelle Investitionen in die eigene Substanz die nachhaltige Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage«, erklärt IDC-Analyst Becker. »Hoffnung gibt es aber, denn viele Unternehmen planen wesentliche Verbesserungen aus verschiedenen Gründen: nicht nur die Unterstützung des regulären Business sowie das alltägliche Netzwerkmanagement werden immer schwieriger zu bewältigen, auch die Umsetzung auf Konnektivität aufbauender Business-Modelle wird wichtiger.«
Bei der Umsetzung moderner Netzwerke und Konnektivität benötigen die meisten Unternehmen offensichtlich Hilfe. Einerseits sei Personal mit operativen Aufgaben ausgelastet, andererseits sei die Umsetzung hinsichtlich Komplexität und Technologie-Knowhow häufig herausfordernd, wie es IDC formuliert.
Vernetzung und Konnektivität sind kritisch, denn sie sind das zentrale Rückgrat, auf dem die meisten anderen Technologien aufbauen und Informationen austauschen. Aus Sicht von IDC ist es deswegen dringend notwendig aus dem Kreis auszubrechen: »Die Investitionen in Netzwerke sind sichere und absolut notwendige Investitionen in die Unternehmenszukunft«, fordert Becker.
Weiterführende Links