IDC: Industrial-IoT kommt nicht voran
IDC: Industrial-IoT kommt in Deutschland nicht voranGuten Morgen, aufwachen! Die Marktforscher von IDC drücken es nicht so drastisch aus, aber deutsche Unternehmen verschlafen gerade Industrial IoT (IIoT). Vorteile, die Firmen aus IIoT ziehen könnten, wie etwa datenbasierte Entscheidungen und agilere Produktionsprozesse, werden vielerorts noch nicht realisiert. Laut IDC verpassen mit der fehlenden Adaption nicht wenige Unternehmen möglichweise die beste Möglichkeit , um besser auf Risiken und Probleme in Liefer- und Wertschöpfungsketten reagieren zu können.
Marco Becker, IDCIDC hat Anfang des Jahres 250 industrielle und industrienahe Unternehmen in Deutschland mit mehr als 100 Mitarbeitern zum Thema Industrial-IoT befragt: »Der Gesamteindruck der Studie ist eher ernüchternd, denn die Adaption von IIoT hat sich in den letzten Jahren verlangsamt und verharrt auf der Stelle«, sagt Marco Becker, Senior Consultant bei IDC und Studienleiter. »Natürlich hat sich auch das Thema IIoT inhaltlich weiterentwickelt und Industrieunternehmen mit ihrem wachsendem Wissen über IIoT werden selbstkritischer bei der Beurteilung ihrer eigenen Fortschritte.« Nach wie vor stünden zu viele Unternehmen an der Seitenlinie, sie recherchieren (20 Prozent), evaluieren (30 Prozent) und planen (20 Prozent) zwar, kommen aber nicht ins Handeln. Die Folge: Diese Unternehmen könnten möglicherweise abgehängt werden.
Deutsche Industrie legen Priorität auf Stabilität & Resilienz
»Dass sich die IIoT-Adaption in den letzten zwei Jahren verlangsamt hat, liegt natürlich auch an der wirtschaftliche Gesamtsituation«, erklärt Becker. »Gestörte Lieferketten, hohe Frachtkosten, steigende Energiekosten und nun noch der Ukrainekrieg versetzen die deutsche Industrie in Alarmbereitschaft und belasten Budgets für strategische Maßnahmen.« Kein Wunder also, dass betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie Gewinn und Kosten (40 Prozent), Produktivität (38 Prozent) und Kundenbindung (29 Prozent) für die Business-Seite im Vordergrund stehen, während die operative Seite sich auf Kontinuität in der Produktion (29 Prozent), die Senkung von Energie- und Ressourcen-Kosten (28 Prozent) und die Verringerung von Ausschussraten konzentriert (26 Prozent).
Den Analysten zufolge wäre speziell IIoT eine datenzentrierte Unternehmenskultur geeignet, um Unsicherheiten und kurzfristigen Veränderungen möglichst effektiv zu begegnen. Sie würden den passenden Werkzeugkasten liefern, um auf sich ändernde Gegebenheiten mit neuen datenbasierten Produkten, Services und Geschäftsmodellen zu reagieren.
Einige Experten heben nun den Zeigefinger und Mahnen an, dass man hätte, eher regieren müssen. »Es sei ärgerlich, dass deutsche Firmen nicht früher ins Handeln gekommen sind.« Andererseits konnte weder eine globale Pandemie vorhergesehen werden noch ein russischer Angriffskrieg in Europa. Hinzukommt, dass man sich nicht einfach eine Handvoll Produkte kauft und Schwupps hat man IIoT am Laufen.
Einwilligung X (Twitter)
Mit dem Laden des Inhalts akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von X (Twitter).
Hier können personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen werden.
IIoT: Fehlende Erfolgsmessung & Projektsteuerung
Die IIoT-Umsetzung besteht weitergehend aus diversen Lösungen inklusive einer innerbetrieblichen Umstellung vieler Prozesse. Und hier beginnt das Dilemma: »Ein großes Problem vieler Unternehmen, das die erfolgreiche IIoT-Adaption hemmt, ist die mangelnde Kontrolle über die IIoT-Umsetzung«, meint IDC-Analyst Becker. »Von den Unternehmen, die bereits IIoT-Projekte umgesetzt haben oder IIoT-Pilotprojekte durchführen, erfasst lediglich ein Drittel regelmäßig geeignete Metriken zur Erfolgsmessung, 22 Prozent prüfen erste Metriken auf Eignung. Nur ein Bruchteil kann also aktuell überhaupt feststellen, ob die IIoT-Projekte auch die gewünschten Ziele erreichen – falls überhaupt entsprechend klare Ziele gesetzt wurden.«
Ähnlich sieht es bei der Projektsteuerung aus. Das heißt, welche Projekte intensiviert, angepasst, optimiert oder eingestellt werden sollten. Nur 24 Prozent der befragten Industrieunternehmen haben dafür umfassende, objektive Entscheidungsregeln eingeführt, weitere 28 Prozent zumindest erste Prozesse und Entscheidungsregeln. »Bei der Erfolgsmessung und Projektbesteuerung besteht deutliches Nachholpotenzial, damit wertvolle IIoT-Budgets nicht versanden und gescheiterte IIoT-Projekte neue Maßnahmen wegen schlechter Erfahrungen nicht verhindern«, rät Becker.
Ausbaufähig: ganzheitliche Daten- & Analytics-Strategie
Lediglich 13 Prozent der befragten Industriefirmen haben eine definierte und ganzheitliche Daten- und Analytics-Strategie für IIoT, die sämtliche Projekte und Daten integriert. Diese sei laut IDC allerdings eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von IIoT und der übergreifenden digitalen Transformation in der Industrie. Für diese sei IIoT ein zentraler Baustein ist: »Erst wenn Daten aus der OT (Operational-Technology) und dem Business in einer holistischen Plattform verlässlich aggregiert sind und je nach Anforderungen des IIoT-Anwendungsszenarios zur richtigen Zeit am richtigen Ort verarbeitet werden können, kann eine stimmige IIoT-Strategie definiert und erfolgreich umgesetzt werden«, erläutert Becker. »58 Prozent haben aber ihre Daten- und Analyseziele zumindest auf ihre kurzfristigen Business-Ziele abgestimmt und bereiten Daten zur erneuten Verwendung auf. Das ist immerhin eine gute Basis, auf der Unternehmen für eine ganzheitliche Datenplattform aufbauen können.«
Die strategischen Defizite spiegeln sich auch in den größten Herausforderungen in Bezug auf Analytics, AI und ML wie hohen Kosten und mangelnden Budgets (30 Prozent), Sicherheit und Compliance (24 Prozent) sowie fehlender Integrationsfähigkeit von Datenquellen und dem Datenwachstum (jeweils 20 Prozent) wider. Eine saubere Datenstrategie und daraus abgeleitete technologische Maßnahmen könnten jedes dieser Probleme deutlich verringern. Die Defizite sind auch ein Grund, warum unter den 37 Prozent der befragten Unternehmen, die bereits KI/ML für ihre IIoT-Projekte nutzen, nur jedes Dritte dies auch umfangreich und im Einklang mit seinen Geschäftszielen macht.
Moderne Anwendungen wie Digital Twins stehen noch ganz am Anfang und werden am seltensten umgesetzt. Den virtuellen Abbilder realer Produkte und Prozesse sprechen Experten großes Potenzial in industriellen Anwendungsszenarien zu. Allerdings sind diese besonders abhängig von ganzheitlichen und verlässlichen Daten.
IT/OT: Teams & Security besser integrieren
Obwohl kritisch für IIoT, bleibt die Integration von Information-Technology (IT) und Operational-Technology (OT) ein schwieriges Thema: Der Anteil der Unternehmen mit optimaler Zusammenarbeit zwischen IT und OT soll künftig immerhin von rund 17 auf 33 Prozent steigen und der Anteil an Unternehmen, in denen IT und OT komplett getrennt sind, von 28 Prozent auf fünf Prozent deutlich sinken. »Dazwischenstehen aber weiterhin viele Unternehmen mit nur informellen Austausch oder in denen die IT viel der Verantwortung übernehmen muss«, sagt Becker. »In 52 Prozent der befragten Unternehmen trägt beispielsweise momentan noch die IT die Verantwortung für die Absicherung von IIoT- und OT-Umgebungen. Im Zuge dessen werden auch häufig klassische IT-Security-Ansätze und -Lösungen wie VPNs und Firewalls für die IIoT-Absicherung genutzt werden – also zweckentfremdete IT- Lösungen, die nicht für OT oder IIoT optimiert sind und damit ein Sicherheitsrisiko darstellen können.«
Die häufigste Sorge beim Thema Cybersecurity für 28 Prozent der Befragten ist zudem die mangelnde Kommunikation zwischen IT und OT über gemeinsame Gefahren. Umso wichtiger ist es, dass auch wirklich umgesetzt wird, was viele Unternehmen aktuell planen: »Die Verantwortung stärker auf IT und OT zu verteilen bzw. beiden die gemeinsame Verantwortung für die gesamte IT/OT-Umgebung zu übertragen, damit Fachwissen beider Seiten in die ganzheitliche Absicherung der Umgebungen fließt«, kommentiert Becker. »In 42 Prozent der Unternehmen laufen aktuell entsprechende Initiativen für die IT/OT-Integration, in weiteren 20 Prozent sind sie geplant. Die bereits abgeschlossenen Aktivitäten zeigen aber, dass diese nicht banal sind und gut moderiert werden müssen, denn die Initiativen scheitern mindestens genauso oft (16 Prozent) wie sie erfolgreich verlaufen (10 Prozent).« Herausforderungen und Hindernisse bei der Integration sind für 29 Prozent mangelndes Fachwissen und Ressourcen für die Durchführung der Initiativen, für jeweils 28 Prozent technologische Probleme und Sicherheitsbedenken und für 27 Prozent die organisatorische Komplexität.
Ecosystems: Zusammenarbeit nur oberflächlich
Erfreulich sei die positive Grundstimmung der Befragten bezüglich Industry-Ecosystems. Drei Viertel der Befragten geben an, bereits Teil solcher Zusammenschlüsse aus Industrieunternehmen und zunehmend auch zwischen Unternehmen verschiedener Branchen zu sein, beispielsweise aus Industrieunternehmen und dem Gesundheits- oder Versicherungswesen.
Die Ziele der Teilnahme in Industry-Ecosystems sind dabei für 31 Prozent schnellere Innovationen, für 29 Prozent neue Umsatzpotenziale zu erschließen und für 26 Prozent die Sicherheit und Qualität der eigenen Produkte zu fördern. Die Bedeutung von Industry Ecosystems für die Zukunft ist enorm: »Wir gehen davon aus, dass bereits 2026 fast ein Drittel aller Umsätze der größten Unternehmen weltweit, den G2000, aus gemeinsam genutzten Daten, Anwendungen und operativen Initiativen innerhalb solcher Industry Ecosystems stammen«, erwartet IDC-Manager Becker. »Der Umfang der Zusammenarbeit in den befragten Industrieunternehmen ist allerdings noch verbesserungswürdig. Nur in gut einem Viertel der Fälle ist er umfassend und zielt auf neue Business-Chancen ab. Für erfolgreiche datenbasierte Zusammenarbeit in Industry Ecosystems sind ein einwandfreies Datenmanagement, der Schutz von geistigem Eigentum und damit die Kontrolle über Daten und Datenzugriffe notwendig.«
IDC sieht in Industry-Ecosystems die Zukunft
Die IDC Studie »Industrial IoT in Deutschland 2021«, attestierte dem Markt großes Potenzial. 40 Prozent wollten damals Investitionen in IIoT erhöhen – trotz oder gerade wegen Corona. Es kam anders.
»Das Feld spaltet sich auf in einige wenige starke Vorreiter mit fortschrittlicher und strategischer Adaption, Organisation und Integration und viele Nachzügler auf der anderen Seite, die weiterhin sehr isolierte Initiativen durchführen oder nur beobachten und evaluieren, ohne das Thema richtig anzugehen«, resümiert Becker. »Die fehlende Aufbruchstimmung zeigt sich auch in den genutzten IIoT-Anwendungsszenarien, die stärker auf die Optimierung des Status quo fokussiert sind als auf die Transformation und notwendigenfalls auch Disruption von traditionellen Prozessen und Geschäftsmodellen.«
Der globale Wettbewerb schlafe aber nicht und deutschen Industrieunternehmen droht, nicht nur bei der Massenfertigung ausgestochen zu werden, sondern auch bei Produkten und Dienstleistungen, die sich durch Innovationskraft und Ingenieurskunst auszeichnen. Bei der Transformation des Mobilitätssektors musste das industrielle Deutschland schon die Verfolgerrolle im globalen Wettbewerb einnehmen.
Die Adaption von IIoT sei laut IDC ein wichtiger, existenzieller Meilenstein, um in der Industrie nachhaltig relevant zu bleiben, datenbasierte Geschäftsmodelle zu verfolgen und in Zukunft agile und resiliente Wertschöpfung in Industry-Ecosystems zu betreiben. Eine grundsätzliche Basis für erfolgreiches IIoT erkennen die Analysten in der deutschen Industrie zwar durchaus, diese gelte es nun aber dringend auszubauen, zu professionalisieren und mit ganzheitlicher Digitalisierung und Datenstrategien zu begleiten.
Die deutsche Industrie muss jetzt aufwachen, wenn sie auch in Zukunft ein Teil lukrativer Wertschöpfungsmodelle bleiben will. Anderenorts sei die industrielle Transformation ist bereits in vollem Gange.