»Der Mensch ist vielseitiger als eine künstliche Intelligenz«
Für Unternehmen gilt es zu erkennen, dass die digitale Transformation mehr umfasst, als Technik und Prozesse. Menschen sind die eigentlichen Treiber – oder auch Bremser. Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung bei Microsoft Deutschland, erklärt unserer Kollegin Claudia Hesse, wie sich der Faktor Mensch ausreichend in die Digitalisierung einbinden lässt und warum uns KI nicht ersetzen kann.
Menschen sind aus meiner Sicht der zentrale Erfolgsfaktor bei der Digitalen Transformation. Erwähnt wird das in den Medien immer mal wieder – allerdings scheinen sich die meisten Unternehmen im Rahmen ihrer eigenen Digitalisierungspläne bisher eher mit Prozessen und Technik auseinander zu setzen als mit den Menschen – welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
Microsoft-Chefin Sabine BendiekBendiek: Den meisten Unternehmen mit denen ich spreche ist schon klar: Eine digitale Transformation umfasst wesentlich mehr als Einsen und Nullen, Technik und Prozesse! Die Menschen – Mitarbeiter wie Führungskräfte – sind die eigentlichen Treiber oder Bremser bei Akzeptanz und Umsetzung eines solche Wandels. Sie stehen für die gelebte Unternehmenskultur, sind die Basis für Veränderungsfähigkeit.
Doch eine agilere Unternehmenskultur lässt sich nicht einführen wie eine neue Maschine und Produktionslinie oder eine neue Unternehmens-Webseite: Das geht nicht vom Reißbrett und schon gar nicht mit Druck von oben. Oder mit Albert Camus gesagt: Um eine Kultur zu schaffen, genügt es nicht mit dem Lineal auf die Finger zu klopfen. Der beste Weg, um etwas zu verändern liegt darin, alle Mitarbeiter einzubeziehen, sie zu qualifizieren und Freiräume für die Veränderung zu geben.
Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um den »Faktor Mensch« ausreichend mit in den Prozess der digitalen Transformation zu nehmen?
Bendiek: Am besten damit, dass der Mitarbeiter nicht als »Faktor« in einer mathematischen Gleichung betrachtet wird, wo das Management sich von vorherein rauskürzt. So geht die Rechnung nicht auf. Besonders erfolgreiche Unternehmen involvieren Mitarbeiter auf allen Ebenen der Unternehmensorganisation in die Planung und die Implementierung des Wandels.
Anders gesagt: Sie müssen viel miteinander reden. Wir haben speziell hier vor einigen Monaten genauer nachgefragt, wie die Situation in deutschen Unternehmen ist. Nachzulesen in unserer Studie »Wie wir eine Kultur der digitalen Transformation schaffen.« Dabei kam so interessante Dinge zu Tage wie: Führungskräfte und Mitarbeiter haben sehr unterschiedliche Einschätzungen mit Blick auf Gestaltung und Vermittlung der digitalen Transformation. So sind die Mitarbeiter Innovationen und neuen Technologien prinzipiell aufgeschlossener als ihre Führungskräfte vermuten. Umgekehrt erleben aber nur elf Prozent der Beschäftigten die Entwicklung der Digitalen Transformation als gemeinschaftlichen Prozess unter Beteiligung der Mitarbeiter. So entsteht Reibungsfläche.
Wir benötigen ein Investment in die menschlichen Intelligenz
Veränderungen in dem Ausmaß, wie sie solche Transformation vorsehen, erzeugen bei Menschen oft Angst. Manchmal vor möglichem Jobverlust oder davor, eventuell den neuen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Wie adressieren Sie im eigenen Unternehmen oder Ihre Kunden diese Problematik?
Sabine Bendiek: »Es gilt die menschliche Intelligenz zu stärken«Bendiek: Indem wir nicht nur in Künstliche Intelligenz (KI), sondern vor allem in die Stärkung der menschlichen Intelligenz investieren. Qualifikation, Weiterbildung – das sind zwar Themen die für Microsoft und viele Partner aus der Wirtschaft nicht wirklich neu sind – weil wir seit Jahren hier für unterschiedliche Alters- und Zielgruppen Angebote bieten. Natürlich auch intern und in zahlreichen Formaten für Partner und Kunden. Aber da sich die Entwicklung weiter beschleunigt, haben wir jetzt zusätzlich eine bundesweite Qualifizierungsinitiative gestartet. Denn insbesondere kleinere Unternehmen können die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen kaum allein stemmen. Um diese Lücke zu schließen, kooperieren wir mit Partnern aus dem Hochschulbereich, Politik und Verbänden. Das fängt an mit neuen Robotik- und AI-Modulen für Jugendliche im Rahmen unsere Code Your Live-Angebote, umfasst strategischen Partnerschaften mit Universitäten, wo wir gemeinsam »Digital Education Days« anbieten, geht weiter mit Lerninhalten rund um KI und Digitalisierung für Erwerbstätige auf unserer IT-Fitness-Plattform.
Gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) werden wir herausragende Beispiele zur Qualifizierung von Führungskräften und Arbeitnehmern identifizieren. Diese sollen in einem gemeinsamen Kongress zur »Zukunft von Arbeit, Qualifizierung und Führung« im Herbst 2019 vorgestellt und diskutiert werden. All das sind auch konkrete Beiträge zur Nationalen Weiterbildungsstrategie, mit der die Bundesregierung den Wandel der Arbeitswelt begleiten wird.
Neulich war in einem Bericht über Digitalisierung die Rede davon, dass doch zu bewerten wäre, wer »digitalisierungsfähig« ist. Wie würden Sie das definieren, sprich, welche Skills oder eher noch Eigenschaften sollte der »ideale« Mitarbeiter im digitalen Umfeld mitbringen, um zum Erfolg der Transformation beizutragen?
Bendiek: »Digitalisierungsfähig?« Das klingt irritierend nach TÜV-Plakette unter Androhung von Stilllegung bei überalterter Hardware. Das hilft niemanden. Wahr ist aber: Wir alle, jeder einzelne sollte sich vom deutschen Begriff der »Fertigkeiten« trennen! Denn auf »Fertigkeiten« im engeren Wortsinn, können wir uns in Zukunft nicht mehr verlassen. Fertig – im Sinne von abgeschlossen und beendet – ist in der Qualifikation von morgen nichts mehr! Das bedeutet ein gewaltiges Umdenken und Umsteuern. Derzeit investieren wir als Gesellschaft 90 Prozent der Bildungsausgaben in die ersten 25 Lebensjahre.
Wovon wollen wir den Rest des Lebens lernen? Zumal wir wissen, dass etwa 65 Prozent der heutigen Studenten irgendwann in Jobs arbeiten werden, die wir heute noch nicht mal kennen.
Was hat der ideale Mitarbeiter für Eigenschaften? Wir suchen Leute mit einem »Growth Mindset«. Leute mit Neugier und der Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln und immer wieder dazu lernen zu wollen. Wer zu uns kommt, der muss sich am Ende des Tages auch wohlfühlen — das ist jemand, der Veränderungen mag und damit umgehen kann, dem dies Energie gibt und nicht negativen Stress. Dieses Growth-Mindset ist mehr als ein Buzzword. Es bringt unsere eigene massive Transformation, die wir in den letzten Jahren durchlaufen haben auf den Punkt: Von Menschen, die alles wissen, hin zu Menschen, die alles Lernen wollen. Das ist eine Frage der Haltung, nicht des Alters und auch nicht zwingend der Qualifikation.
Top 3 Fähigkeiten um in der digitalen Welt zu bestehen
Welches sind Ihrer Ansicht nach die drei Top-Fähigkeiten/Eigenschaften, die wir als Menschen benötigen, um in der digitalen Welt nicht nur bestehen oder überleben, sondern auch glänzen zu können und die nicht durch KI oder Automatisierung ersetzt werden können?
Sabine Bendiek: »Menschen sind im Gegensatz zu KI kreativ, emphatisch und neugierig«Bendiek: Es ist schlicht unsere Vielfältigkeit. Menschen sind kreativ, emphatisch und neugierig. Um nur mal drei Eigenschaften zu nennen, die absehbar nicht zu ersetzen sind. KI besitzt hochspezialisierte Inselbegabungen. Sie kann beeindruckend schnell Daten analysieren, Muster erkennen, Zusammenhänge herstellen. KI kann lernen, rasant schnell sogar. Aber nicht denken. Wir sollten uns daher nicht primär den Kopf darüber zerbrechen, ob Computer denken, sondern, wie sie uns Menschen unterstützen können.
KI ist ein mächtiges Werkzeug. Und das bedeutet Verantwortung. Künstliche Intelligenz muss einen Nutzen für möglichst alle Menschen haben, vertrauenswürdig sein: Datenschutz, Sicherheit und Transparenz gehören ins Gleichgewicht mit dem Streben nach effizienten und wirtschaftlichen Geschäftsmodellen. Sie fragen, wie wir Menschen glänzen können? Indem wir genau diesen Job glänzend machen! Es gibt dafür viele positive Beispiele. Lösungen wie der Child Growth Monitor, der zur Zeit in Indien getestet wird und wo mittels KI und einem simplen Smartphone Mangelernährung bei Kindern frühzeitig erkannt und bekämpft wird.
Ich finde wir vergessen oft, worum es bei der Digitalisierung geht: nämlich darum, uns Menschen das Leben zu vereinfachen oder besser zu machen. Oft scheint allerdings eher das Gegenteil der Fall zu sein. Der Fokus liegt oft auf der Technik, nicht auf dem Menschen. Was können Leader anders machen, um den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen?
Bendiek: Wer allein auf Technik setzt und Menschen nicht einbindet, entwickelt an ihnen vorbei. Für »Leader« bedeutet das beispielsweise: Es reicht nicht aus moderne Collaboration- oder Social-Media-Tools wie Yammer, Teams oder Slack einzuführen und dann zu hoffen, das läuft von selbst. Dazu gehört neben Schulung auch das Vorleben, mit gutem Beispiel voranzugehen. Dazu zählt das Teilen von Information, die Erreichbarkeit über die Tools. Und die Mitarbeiter müssen einen tatsächlichen Nutzen erleben. Bei Microsoft ermöglichen uns unsere digitalen Plattformen das Arbeiten von jedem Ort, zu jeder Zeit. Konsequenterweise haben wir daher seit einigen Jahren neben der Vertrauensarbeitszeit auch den Vertrauensarbeitsort eingeführt. Jeder Mitarbeiter entscheidet daher selbst von wo und wann er arbeitet. Gesteuert wird über Ziele und nicht Anwesenheit. Dass dies auch die Anforderungen an das Management und Leadership verändert ist naheliegend.
Digitalisierung benötigt Herzintelligenz und Intuition
In einem Gespräch mit einem Vertreter eines der grössten traditionellen Unternehmen in Deutschland hörte ich, dass in deren Transformationsprozess sogar Herzintelligenz und Intuition mit betrachtet werden (was mich persönlich gefreut und überrascht hat). Der Hintergrund: Wenn wir konstruktive, effektive und wichtige Gespräche führen wollen (und damit Zeit sparen) im Unternehmen ist es relevant, uns selber und unsere Emotionen besser zu verstehen. Für wie relevant halten Sie den Faktor von Herz und Intuition im Business?
Bendiek: Herzintelligenz? Das klingt gut. Empathie und Selbstreflektion sind wichtige Schlüsselqualifikationen. Und ich kann Ihnen aus eigner Erfahrung versichern. Transformationsprozesse gehen nicht ohne diese Schlüssel zu den Menschen. Die erfolgreiche Umsetzung transformativer und innovativer Themen, hängt davon ab, wieviel Glauben die Mitarbeiter an sich und ihre Führung haben. Je komplexer die Unternehmen, um so strukturierter, aber auch vielfältiger müssen diese Gespräche sein.
Und zu guter Letzt: Was macht Ihrer Ansicht nach einen erfolgreichen »Digital Leader« aus?
Bendiek: Weil das Thema noch gar nicht angesprochen wurde: Vor allem auch die Tatsache, dass »er« eine Frau sein kann – und wesentlich häufiger sein sollte. Ich bin eine starke Verfechterin von Diversität in Unternehmen. Gemischte Teams sind auf lange Sicht erfolgreicher und kreativer. Und das heißt dann zu guter Letzt: Digital-Leaders sollten möglichst auf Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven in ihren Teams und Unternehmen achten. Damit kommt zwar der Erfolg nicht von allein, aber es hebt die Chancen.
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