Bitkom: Angst vor Cyberangriffen und einem Cyberkrieg wächst
In Deutschland herrscht eine zunehmende Besorgnis über Cyberangriffe und die Möglichkeit eines Cyberkriegs. Laut Bitkom-Studie stufen 70 Prozent der Befragten die Cyber-Bedrohung als hoch ein und betrachten Deutschland als schlecht darauf vorbereitet. Die Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie kommt dabei nur schleppend voran. Bitkom und Bevölkerung fordern hier raschere Fortschritte.
In Deutschland wächst die Sorge vor Cyberangriffen und der potenziellen Gefahr eines Cyberkriegs. Eine Mehrheit der Deutschen empfindet die Bedrohung durch Cyberkriminalität als erheblich, wobei gleichfalls viele das Land in puncto Vorbereitung als defizitär ansehen. Einer Umfrage des Bitkom, die 1.115 Personen ab 16 Jahren einschloss, bewerten 70 Prozent der Befragten die Risiken als hoch und sind gleichzeitig der Ansicht, dass Deutschland nicht ausreichend gerüstet ist. Besonders alarmierend ist, dass nur zwei von 30 geplanten Cybersicherheitsinitiativen im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie bisher realisiert wurden.
Dr. Ralf Wintergerst, Bitkom»Deutschland wird täglich digital angegriffen wird«, sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. »Die Grenzen zwischen Cybercrime und hybrider Kriegsführung, zwischen privaten und staatlichen Akteuren sind inzwischen fließend. »Die Bedrohungslage wird sich verschärfen, wir müssen deshalb unsere nationale Sicherheit sowohl klassisch als auch im digitalen Raum stärken – in Behörden und der Verwaltung, aber auch in kritischer Infrastruktur und in den Unternehmen.«
Sorge vor ausländischen Geheimdiensten und organisierter Kriminalität
Trotz der persönlichen Wahrnehmung geringer unmittelbarer Gefahren für sich und ihre Familien – nur 37 Prozent fühlen sich sehr bedroht – bewerten 70 Prozent der Deutschen die Cyber-Bedrohungslage für das Land generell als hoch. Die größten Risiken gehen ihrer Meinung nach von ausländischen Geheimdiensten und der organisierten Kriminalität aus, gefolgt von politischen oder religiösen Extremisten sowie Einzeltätern.
Ein Großteil der Bevölkerung sieht Cyber-Bedrohungen vornehmlich aus Richtung Russland, China und mit Abstand Nordkorea. Ein Drittel betrachtet sogar die USA als eine wesentliche Gefahr für die Cybersicherheit Deutschlands, mehr noch als den Iran oder Belarus. »Die USA waren und sind für Deutschland und Europa ein wichtiger Partner«, sagt Wintergerst. »Die Einschätzung der Menschen zeigt aber, dass die Grenzen zwischen Freund und Feind nicht mehr so klar sind, wie noch vor zehn oder 20 Jahren. Wichtig ist, dass wir das Ziel echter digitaler Souveränität in Deutschland und Europa mit Nachdruck und Erfolg verfolgen.«
Als größte Cyberbedrohung gelten Russland und China – aber ein Drittel sieht auch die USA als Gefahr. (Grafik: Bitkom)
Cybersicherheit: Behörden müssen sich besser vorbereiten
Trotz der Bedenken hinsichtlich der Vorbereitung auf Cyber-Bedrohungen sind nur 23 Prozent der Meinung, dass öffentliche Institutionen wie die Polizei oder die Bundeswehr angemessen vorbereitet sind. Eine Mehrheit sieht große Risiken in Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen und fordert, dass solche Angriffe ähnlich wie militärische Attacken behandelt werden sollten.
Zugleich geht es nach Ansicht der Bevölkerung um mehr als nur die Anfälligkeit für Datendiebstahl oder Erpressung mit Ransomware. 71 Prozent sagen, dass Kriege in Zukunft überwiegend auch mit digitalen Mitteln geführt werden. »63 Prozent denken, dass Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen für Deutschland eine größere Bedrohung darstellen als konventionelle militärische Angriffe«, hebt Wintergerst hervor. »Zwei Drittel sind entsprechend der Meinung, dass Cyberangriffe genauso behandelt werden müssten wie militärische Angriffe. Wer im Cyberraum angreifbar ist, wird sich auch in der physischen Welt nicht erfolgreich verteidigen können. Landesverteidigung bedeutet heute nicht mehr nur Investitionen in Panzer und Flugabwehr, sondern den gezielten Einsatz digitaler Technologien und digitalen Know-hows.«
Cyberkrieg: Deutschland muss Bedrohungen ernster nehmen
Weit verbreitet ist die Angst vor einem Cyberkrieg. 61 Prozent haben aktuell Angst vor einem solchen Szenario. Jüngere (59 Prozent bei den 16- bis 29-Jährigen sowie den 30- bis 49-Jährigen) sind dabei etwas weniger besorgt als die Älteren (69 Prozent bei den ab-75-Jährigen), Frauen haben mit 65 Prozent etwas mehr Sorge als Männer (58 Prozent). Vor allem jenen Staaten, die als Cyberbedrohung gelten, werden gute technische Fähigkeiten für eine solche Auseinandersetzung zugesprochen. Ganz oben stehen Russland (76 Prozent), die USA (75 Prozent) und China (74 Prozent). Nordkorea ist für 52 Prozent gut gerüstet, der Iran für 46 Prozent. Deutschland nennen 61 Prozent, Israel 52 Prozent, Frankreich 46 Prozent, am Ende liegen Großbritannien (42 Prozent) und die Ukraine (41 Prozent). Wintergerst fordert, dass Europa eigene Fähigkeiten für den Fall eines Cyberkriegs aufbauen müsse.
Denn obwohl Deutschland nach Meinung einer deutlichen Mehrheit über die technischen Fähigkeiten für einen Cyberkrieg verfügt, gilt die Bundesrepublik im Cyberraum aktuell in der Praxis nur als bedingt abwehrbereit. Rund zwei Drittel halten Deutschland für sehr schlecht (26 Prozent) oder eher schlecht (38 Prozent) vorbereitet, nur 24 Prozent für gut und gerade einmal vier Prozent für sehr gut. Gefragt nach nötigen Maßnahmen fordern 75 Prozent die Gründung eines digitalen Katastrophenschutzes, 73 Prozent Investitionen in die Cybersicherheit kritischer Infrastrukturen und 71 Prozent die Schaffung eigener Fähigkeiten für Cyberangriffe. Dahinter folgen Cyber-Bündnisse mit anderen Staaten wie eine Cyber-Nato (68 Prozent), Investitionen in Cyber-Abwehreinheiten (64 Prozent), Notfallschulungen für die Bevölkerung (56 Prozent) sowie Wirtschaftssanktionen zur Abschreckung (43 Prozent).
Rund zwei Drittel halten Deutschland für sehr schlecht (26 Prozent) oder eher schlecht (38 Prozent) vorbereitet. (Grafik: Bitkom)
Nationalen Sicherheitsstrategie mit Nachdruck vorantreiben
Die Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie scheint zu stocken, da von den 30 vorgesehenen Maßnahmen nur zwei abgeschlossen und viele noch nicht einmal begonnen wurden. »Ambitionierte Strategien und Pläne bringen nichts, wenn sie nicht in die Tat umgesetzt werden«, mahnt Wintergerst. »Die nächste Bundesregierung muss die notwendigen Schritte unverzüglich einleiten.«
Die wenigen realisierten Maßnahmen umfassen Überprüfungen von systemkritischen Komponenten in Kommunikationsnetzen und die Aufnahme der Arbeit durch die neu geschaffene Cyberagentur. Ohne parlamentarische Mehrheit verzögert sich jedoch die Verstärkung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik und die erhoffte Kooperation mit der Wirtschaft bleibt hinter den Erwartungen zurück.
Abschließend lässt sich feststellen, dass die Bevölkerung die Gefahr von Cyberangriffen ernst nimmt und tiefgreifende Maßnahmen fordert, um die nationale Sicherheit in der digitalen Welt zu gewährleisten. Die Politik sieht sich anscheinend nicht in der Pflicht Maßnahmen zu ergreifen.
»Die Erhöhung der Cybersicherheit muss eine zentrale Aufgabe der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der künftigen Bundesregierung sein«, fordert auch Bitkom-Chef Wintergerst. »Wir brauchen nicht nur ambitionierte Ziele, sondern vor allem Fortschritt in der Umsetzung.«