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Ferroelektrika vereint Festplatten- und Chip-Vorteile

Dipole sind in einem ferroelektrischen Material die Informationsträger. Forscher des Forschungszentrums Jülich und des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle beobachten erstmals, dass diese kontinuierlich ihre Orientierung ändern und sich auch ringförmig anordnen können. Vereint Ferroelektrika damit die Festplatten- und Chip-Vorteile, und wird dadurch zum Storage-Material der Zukunft?

Chun-Lin Jia (vorne) gemeinsam mit Kollegen des Ernst Ruska-Centrums bei der Arbeit am Mikroskop (Bild: Forschungszentrum Jülich)
Chun-Lin Jia (vorne) gemeinsam mit Kollegen des Ernst Ruska-Centrums bei der Arbeit am Mikroskop (Bild: Forschungszentrum Jülich)
Der elektrischer Dreh für Datenspeicher – er erscheint immer möglicher. Von neuesten Forschungserkenntnissen berichten die Wissenschaftler nun im Fachmagazin »Science«. Diese Erkenntnis gelang ihnen mit einer besonders kontrastreichen Form der hochauflösenden Transmissionselektronen-Mikroskopie, welche Forscher des Forschungszentrums Jülich entwickelt haben. Die dabei entdeckten ringförmig angeordneten Dipole könnten es erlauben, Arbeitspeicher deutlich dichter mit Daten zu bepacken als bislang und dennoch schnell zu beschreiben und auszulesen. (Science DOI: 10.1126/science.1200605)

Ferroelektrika können ein Dilemma der Chip-Industrie lösen, denn sie speichern Daten dauerhaft und lassen sich dennoch schnell beschreiben und auslesen. Magnetische Materialien dagegen, auf denen Festplatten basieren, fixieren Daten permanent, sind aber träge. Halbleiterspeicher wiederum operieren behände mit Daten, verlieren jedoch schnell ihr Gedächtnis, sodass die elektrischen Ladungen ihrer Kondensatoren ständig aufgefrischt werden müssen.

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Dichte von mehreren Tbit pro Quadratzoll möglich

Ferroelektrika vereinen dagegen die Vorteile beider Materialien. Und in ihnen lässt sich Information möglicherweise dichter packen als bislang angenommen. Sie könnten daher zum Material der Wahl für Arbeitsspeicher mit einer Dichte von mehreren Tbit pro Quadratzoll avancieren.

Ferroelektrische Materialien speichern Bits, indem ihre Elementarzellen, ihre kleinsten strukturellen Einheiten, polarisiert werden. Das heißt, ein elektrisches Feld verschiebt die positiv und negativ geladenen Atome leicht gegeneinander, sodass die Elementarzelle leicht verzerrt wird und ein Dipol entsteht. Dieser bleibt so lange erhalten, bis ein umgekehrt gepoltes Feld den Dipol umklappt oder die Polarisierung aufhebt.

Durchbruch mit Transmissionselektronen-Mikroskop

Jedem Bit ist in einem ferroelektrischen Speicher ein Bereich – Physiker sprechen von einer Domäne – zugeordnet, wo die Dipole alle gleich ausgerichtet sind. »Wir haben nun festgestellt, dass die Polarisierung unter bestimmten Bedingungen auch in sehr kleinen Domänen noch erhalten bleibt«, sagt Chun-Lin Jia, der am Forschungszentrum Jülich forscht.

Festgestellt hatten die Forscher das an einem Ferroelektrikum, das am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle hergestellt wurde. Es enthält Blei, Zirkonium, Titan und Sauerstoff und wird Bleizirkonattitanat (PZT) genannt. Chun-Lin Jia und Knut Urban, Direktor am Ernst Ruska-Centrum (ER-C) – dem Aachener und Jülicher Kompetenzzentrum für Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen – haben die Probe des PZT mit einem besonders empfindlichen und atomar auflösenden Transmissionselektronen-Mikroskop untersucht.

Probe bestand aus nur gut vierzig Atomlagen

Dieses aberrationskorrigierte Gerät behebt Abbildungsfehler des Linsensystems und liefert daher scharfe und kontrastreiche Aufnahmen von sehr kleinen Details. Es ist sogar in der Lage, die Positionen von Atomen mit einer Genauigkeit von wenigen Pikometern zu bestimmen – jein Pikometer ist der tausendste Teil eines Nanometers. Mit dieser Technik lassen sich anders als mit einem herkömmlichen Transmissionselektronen-Mikroskop Sauerstoff-Atome des PZT lokalisieren, die ansonsten aufgrund ihres schwachen Streusignals kaum zu detektieren sind.

Indem die Forscher in der PZT-Probe nun die genauen Positionen der Sauerstoffatome einerseits sowie der Zirkonium- und Titan-Atome andererseits bestimmten, ermittelten sie die Orientierung der Dipole in jeder einzelnen von mehr als 250 Elementarzellen. Die Probe besteht aus dem Querschnitt durch eine PZT-Schicht, die etwa zwanzig Elementarzellen, also gut vierzig Atomlagen, dick ist.

Das ferroelektrische Material brachte Ionela Vrejoiu vom Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik sehr akkurat auf eine einkristalline Strontiumtitanat-Unterlage auf. Diese hatte sie zudem mit einer dünnen Rutheniumoxid-Zwischenlage versehen, um die Grenzfläche zwischen Unterlage und ferroelektrischem Material besser bestimmen zu können. Auch die Grenze zwischen zwei Domänen mit umgekehrter Polarisierung war in der transmissionselektronenmikroskopischen Abbildung der quergeschnittenen Probe genau zu erkennen.

Unerwartete Beobachtung an der Domänengrenze

Dort, wo die Domänengrenze auf die Rutheniumoxid-Zwischenlage stößt, beobachteten die Jülicher Physiker nun etwas Unerwartetes – nämlich eine weitere Domäne von nur wenigen Quadratnanometern, in der die Orientierung des Ensembles der Dipole kontinuierlich um insgesamt 180 Grad dreht – die Wissenschaftler sprechen von einer flux-closure-Domäne. »Solche Domänen kennen wir aus magnetischen Materialien, und für ferroelektrische Materialien haben einige Berechnungen sie ebenfalls vorhergesagt«, sagt Knut Urban. »Aber wir haben sie erstmals direkt beobachtet.«

Trotz theoretischer Vorhersagen hielten viele Physiker ringförmig angeordnete Dipole bislang für unmöglich. »Ich habe nicht geglaubt, dass sie existieren«, bekennt Marin Alexe, der die Ferroelektrika am Max-Planck-Institut in Halle erforscht. Dafür hat er auch einen guten Grund: Die Magnetisierung wird von Elektronen getragen und lässt sich mit geringem Energieaufwand in ihrer Richtung verändern. Die Umorientierung der Dipole in Ferroelektrika bedingt dagegen eine Verzerrung oder einen Umbau der Elementarzellen.

Polarisierung bleibt auch in Strukturen von weniger als zehn mal zehn Nanometern erhalten

Solche Veränderungen kosten wesentlich mehr Energie als eine magnetische Umorientierung, weil sie die Symmetrie des Kristalls stören. Eine Drehung um 180 Grad ist noch nachvollziehbar, aber eine schrittweise Verzerrung der Elementarzelle hielten viele Wissenschaftler schlicht für zu energieaufwendig.

»Dass wir den Ringschluss des Dipolflusses und die kontinuierliche Rotation der Dipole jetzt nachgewiesen haben, dürfte auch einen praktischen Nutzen haben«, sagt Dietrich Hesse, einer der beteiligten Forscher am Max-Planck-Institut in Halle. »Offenbar findet die Natur auf diese Weise einen Weg, die Polarisierung auch in Strukturen von weniger als zehn mal zehn Nanometern aufrecht zu erhalten.« Bislang gingen die Physiker davon aus, dass die Polarisierung in solchen Strukturen zusammenbricht, weil sie zu wenige Dipole enthalten.

Denn Ferroelektrizität ist ein kollektives Phänomen, die Dipole stützen sich also gewissermaßen gegenseitig. Sinkt ihre Zahl unter eine bestimmte Grenze, bringen kleinste elektrische Ladungen, die sich stets an Oberflächen bilden, die Ordnung der Dipole durcheinander.

Ideen für weitere Untersuchungen

Auf diesen Effekt ist auch zurückzuführen, dass die Polarisierung an der oberen Seite der PZT-Schicht, die das Forscherteam nun untersuchte, verschwunden war. »Wir mussten also bislang davon ausgehen, dass wir die Domänen wegen der Depolarisierung nicht unter die Grenze von 20 mal 20 Nanometer verkleinern können«, sagt Marin Alexe. Genau dies könnte nun doch möglich werden.

»Wir werden nun die genauen Bedingungen untersuchen, unter denen sich Strukturen mit einer ringförmigen Polarisierung bilden«, avisiert Alexe. Die Null und Eins eines Bits ließen sich dann codieren, indem die Dipole mal im Uhrzeigersinn und mal dagegen ausgerichtet werden. »Für entsprechende Untersuchungen haben wir bereits Ideen« sagt Dietrich Hesse. »Doch bis es Datenspeicher gibt, die pro Quadratzoll dauerhaft mehrere Billionen Datenpunkte speichern, und diese so schnell aufnehmen und abgeben wie ein heutiger Arbeitsspeicher, werden noch einige Jahre verstreichen.«

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