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Flutkatastrophe in Thailand trifft HDD-Industrie hart

Das Erdbeben in Japan im Frühjahr dieses Jahres hat die Festplattenindustrie klar getroffen – aber die Effekte daraus waren nach ein paar Wochen behoben. Die Unterbrechungen in den Zuliefererketten sind heute im Nachhinein bestenfalls als Schluckauf zu bezeichnen.

Das, so steht jetzt mittlerweile fest, wird für die Flutkatastrophe in Thailand nicht mehr gelten. In den Hauptüberschwemmungsgebieten haben HDD-Hersteller teilweise selbst Fabriken, aber auf jeden Fall befinden sich dort viele Fabs wichtiger Komponentenhersteller. Zwei Hightech-Industriegebiete, der »Bang Pa-in Industrial Park« und der »Navanakorn Industrial Park«, wurden teilweise komplett geflutet. In manchen Fabs stand das Wasser fast bis zum ersten Stock, berichten thailändische Zeitungen. Damit gilt jetzt schon als sicher: Die Thailand-Flut ist die schwerste Naturkatastrophe, die die Festplattenindustrie je heimsuchte.

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Gestörte Produktion erlaubt kein Wachstum im vierten Quartal

Just in diesen Tagen, in denen die börsennotierten Unternehmen Western Digital und Seagate Technology über ihre Q3-Zahlen berichten, müssen sie parallel einräumen: das soeben begonnene vierte Kalenderquartal wird wohl mau, teilweise sogar sehr maus. Von Wachstum redet niemand, bestenfalls wird der Ausstoß die Höhe des dritten Quartals erreichen, voraussichtlich aber wird’s eher weniger.

Am schlimmsten scheint es WD getroffen zu haben. Im Überschwemmungsgebiet haben sie eine eigene Fab, die seit über eine Woche geschlossen ist. Der Wiedereröffnungszeitpunkt ist absolut unklar. WD stellte darin neben anderen Komponenten Slider her – und dieses kleine, aber hochkomplexe Bauteil lässt sich nicht so schnell durch andere Zulieferer ersetzen.

32 Millionen Drives weniger alleine von Western Digital in laufenden Quartal

WD-COO Tim Leyden räumte vorgestern in einer Analystenkonferenz nach den Q3-Zahlen ein, dass man in Thailand »einen erheblichen Anteil« des gesamten Slider-Bedarfs von WD herstellte. Zwar werde WD nun die Kapazitäten in einer anderen Slider-Fab auf den Philippinen so schnell wie möglich hochfahren. Aber trotzdem blieb Leyden deshalb nichts anderes übrig, als den Hammer für die IT-Industrie auszupacken: »Wir schätzen, dass unsere reguläre Kapazität und die voraussichtlichen Kapazitäten unserer Zulieferer uns für mehrere Quartale erheblich beeinflussen.«

In Zahlen bedeutet das: WD produzierte in Thailand insgesamt 32 Millionen Drives alleine im zweiten Quartal. Diese scheinen nun für mindestens ein Quartal komplett auszufallen. WD stellte im gesamten Q2/11 58 Millionen Festplatten her. Nur 22 bis 26 Millionen Einheiten werden also im laufenden Quartal voraussichtlich von WD ausgeliefert. Auch Hitachi, die sich derzeit mit WD vereinigen, betreibt mindestens eine Fab im Katastrophengebiet. Hier gibt es wohl ebenfalls erhebliche Produktionsausfälle.

Seagate-Fabs nicht betroffen – aber die Zulieferer

Nach diesem Horror-Einblick wartete die Analystenbranche natürlich gespannt auf die Kommentare des Seagate-Managements gestern Nacht zur Situation in Thailand. Die waren zwar etwas besser – aber richtig erfreuen konnten sie auch niemand. Zunächst die gute Nachricht: Seagate betreibt eine HDD-Fab in Thailand, die steht aber nicht im Flutgebiet. Die Fab wäre prinzipiell vollkommen operabel – wenn eben nicht die komplett gestörte Zuliefererkette wäre.

Im Falle Seagate sind es hauptsächlich »Head-Stacks und spezielle Komponenten dafür«, erläuterte Seagate-CEO Steve Luczo in der Analystenkonferenz. Damit lässt sich wohl leichter auf andere Fabs ausweichen. Seagate selbst betreibt noch zwei Fabs in China. Aber trotzdem ließ sich Luczo nur zu der Prognose hinreißen, dass man wohl im laufenden vierten Quartal »40 bis 50 Mio. Drives« fertigen werde – immerhin 50,7 Mio. Stück waren es im soeben beendeten dritten Kalenderquartal (bzw. ersten Fiskalquartal). Der Gesamtmarkt für Festplatten wurde im vierten Quartal von Branchenanalysten auf rund 170 Millionen Einheiten taxiert – daraus wird wohl nichts.

Seagate erwartet »erhebliche Nachfrageverschiebungen«

Allerdings sieht Seagate gute Chancen, dass man die durch die Flut ausgelösten Fertigungsprobleme evtl. zum Jahreswechsel behoben haben könnte. Ganz vorsichtig sprach Luczo von Wachstum und »möglicherweise 60 Millionen Festplatten« im ersten Kalenderquartal 2012.

Aber egal, wie man es dreht und wendet: Im laufenden vierten Quartal wird es nicht genug Festplatten für die IT-Industrie geben. Preissteigerungen auf dem Spot-Markt sind ganz klar vorprogrammiert. Luczo erwartet »erhebliche Nachfrageverschiebungen« teilweise zu anderen – erhältlichen – Festplattenversionen, teilweise zu anderen Lieferanten: »Wir hatten in den letzten 72 Stunden unglaubliche Anrufe von größten OEMs und Distributoren, die uns langfristige Verträge anboten, wenn wir sie beliefern.« Aber – auch Seagate sind die Hände gebunden.

EU gestattet Seagate Übernahme der HDD-Sparte von Samsung

Etwas erleichternd kommt für Seagate dazu, dass die EU kürzlich die Übernahme der HDD-Sparte von Samsung genehmigte. Samsung bringt vor allem ein stark nachgefragtes 2,5-Zoll-Laufwerk mit, das 500 GByte auf einer Platter schafft. Davon gibt es ein 1- und ein 2-Platten-Design (mit 1 TByte). Die Komponenten für dieses Modell werden wohl alle in Südkorea bzw. Japan und Taiwan gefertigt, was auf eine unterbrechungsfreie Produktion hindeutet.

Von Toshiba ist nichts bekannt, ob und wie man von der thailändischen Naturkatastrophe betroffen ist. Aber als viertgrößter Festplattenhersteller wäre das Unternehmen sowieso nicht in der Lage, die Ausfälle der beiden Marktführer WD und Seagate zu kompensieren.

In einer vorläufigen Schätzung rechnet die Zentralbank Thailand mit Schäden insgesamt in Höhe von 60 bis 80 Milliarden Baht (bis zu 3,4 Milliarden Euro), die seit Ende Juli durch die Fluten entstanden sind. Es sind die schlimmsten Überflutungen in Thailand seit 1995. Bislang sind mindestens 270 Menschen ums Leben gekommen.

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